Vom englischen Schriftsteller und Shakespeare-Biografen Anthony Burgess (1917-1993) stammt die These: «Hätten wir die Wahl zwischen zwei Entdeckungen – der eines noch unbekannten Shakespeare-Dramas und der einer seiner Wäschereilisten – wir alle würden uns für die schmutzige Wäsche entscheiden.»
«Shakespeare gibt uns nichts!»
Die spärlichen Indizien über Shakespeares Leben: Die Klage ist alt. Wir kennen seine Werke, die Person selbst aber entzieht sich unserem Zugriff. Sogar Shakespeares Autorschaft ist – in Einzelfällen – so wenig gesichert wie die Echtheit der von ihm überlieferten Porträts. Es sei zum Verrücktwerden, jammerte Burgess: «Shakespeare gibt uns nichts!»
Dennoch: So ganz unergiebig waren die Ermittlungen nie. Seit Jahren mausert sich ein Zweig der Shakespeare-Forschung zur Boombranche: die Shakespeare-Archäologie. Hier läuft die Spurensuche auf Hochtouren, auch im 400. Todesjahr des Barden.
Graben in Shakespeares Domizil
Vor vier Jahren stiess man bei Bauarbeiten in London auf Überreste der beiden Bühnen, auf denen der Dramatiker Ende des 15. Jahrhunderts seine ersten Erfolge feierte: das «Curtain Theatre» und – ganz in der Nähe – das «Theatre». «Heinrich V.» und «Romeo und Julia» wurden hier uraufgeführt.
Im Haus New Place, Shakespeares letztem Domizil in Stratford-upon-Avon, legten Archäologen der Universität Staffordshire und Mitarbeiter des Shakespeare Birthplace Trust Ende 2015 Küche und Kühlraum des weiträumigen Anwesens frei. Von den ausgegrabenen Gebäuderesten, Kochutensilien und Tierknochen erhoffen sich Experten Einblicke ins Alltagsleben des Hausherren und seiner Familie. Im Juli 2016 wird der New Place-Komplex seiner neuen Bestimmung übergeben: als Museum und Besucherzentrum.
«Sein Schädel fehlt»
Etwas mehr Licht ins Dunkel brachte soeben die bislang gründlichste forensische Ermittlung an der letzten Ruhestätte Shakespeares in der Holy Trinity-Kirche in Stratford. Mittels Bodenradar wurden dort die Grabplatten abgetastet.
Regie bei der oberirdischen Spurensuche führte der Geophysiker Kevin Colls: «Wir stellten fest: Unter den Platten sind tatsächlich Gräber. Ausserdem fanden wir am Kopfende von Shakespeares Grab signifikante Störungen des Erdreichs, Ausbesserungen – und einen Hohlraum. Wir sind uns ziemlich sicher: Sein Schädel fehlt!» Laut Colls erhärtet der Befund den Verdacht, wonach der Dichter Ende des 18. Jahrhunderts – so besagt eine Legende – Opfer eines Grabraubs wurde. «Der Schädel wurde wohl als Trophäe gehandelt», meint Colls: «Wo immer er sein mag, hier liegt er nicht.»
Weltkongress im Juli
Im Juli trifft sich die internationale Shakespeare-Gemeinde zu ihrem Weltkongress, der erstmals an zwei Standorten stattfindet: in London und Stratford-upon-Avon. Die Archäologen werden dort viel zu referieren haben, nur eines steht sicher nicht zur Diskussion: Williams Wäsche.
Sendung: Kultur Kompakt, SRF 2 Kultur, 12. April 2016, 17.22 Uhr