Rotraut Susanne Berner, was bedeutet Ihnen der Hans-Christian-Andersen-Preis für Illustration?
Man sagt, dies sei der kleine Nobelpreis für Jugendliteratur. Da ich schon andere Male auf der Shortlist war, ohne dass es geklappt hat, freue ich mich nun sehr. Im Gegensatz zum Deutschen Jugendliteraturpreis wird er international wahrgenommen. Viele Verlage aus dem Ausland werden jetzt auf mich aufmerksam.
Wie wichtig sind Preise für Illustratorinnen und Illustratoren?
Ich persönlich fände Preise wichtig, wenn man jung ist. Es ist eigentlich schade, wenn Preise, auch in der Literatur, erst vergeben werden, wenn die Künstler schon alt sind. Eigentlich sollten Preise jüngeren Künstlern helfen, sorgloser zu arbeiten und eine Präsenz in der Öffentlichkeit zu haben. Das ist wichtig.
Sie sind sehr bekannt durch die Wimmelbücher, die Karlchen-Geschichten und andere Bücher. Was macht denn Ihrer Meinung nach ein gutes Kinderbuch aus?
Ob ein Buch gut ist, kann man erstmal daran messen, ob man Lust hat, weiterzublättern. Doch warum einen ein Buch in den Bann zieht und ein anderes nicht, ist schwer zu sagen. Ich denke, es hat viel mit Emotionalität zu tun: Ob es mir als Autorin und Zeichnerin gelingt, die Leute an einer Stelle zu greifen, wo Kopf, Herz und Seele zusammenkommen. Wie man dies erreicht, bleibt ein Geheimnis. Mit Ästhetik hat es weniger zu tun.
Kann man denn lernen, ein gutes Kinderbuch zu machen?
Gewiss. Wenn ich meine frühen Arbeiten anschaue, sehe ich eine riesige Entwicklung und Verbesserung. Ich identifiziere mich ungern mit meinen frühen Arbeiten. Man muss sich entwickeln und verbessern wollen und darf sich nicht so leicht zufrieden geben. Das ist wichtig.
Was waren diesbezüglich für Sie die wichtigsten Schritte auf diesem Weg?
Sich nicht zu verbiegen. Das halte ich für elementar. Erfahrene Leute geben einem immer Ratschläge. Man muss herausfinden, ob es Trotz, Dummheit oder tatsächlich eine Haltung ist, wenn man sie nicht befolgt. Dann muss man begreifen, dass man als Illustratorin nie ausgelernt hat. Mit jedem neuen Text hat man eine neue Herausforderung. Das ist ja das Tolle an diesem Beruf.
Sie machen sowohl Bücher mit viel Text, als auch solche ohne Text, nur mit Bildern. Was können Bilder, was können sie nicht?
Das mit den Bildern ist eigentlich vergleichbar mit dem Theater: Der Vorhang geht auf und man sieht das Bühnenbild, in dem Menschen agieren. Bilder machen eine zusätzliche Welt auf zu den Geschehnissen des Textes. Das kann glücken oder schiefgehen, wenn man dem Betrachter seine eigenen Visionen nimmt.
Wie funktioniert das bei Ihren Jahreszeiten-Wimmelbüchern? Dort gibt es ja gar keinen Text.
Das stimmt. Als das erste, das Winter-Wimmelbuch 2003 erschien, kritisierte man, es würde den Zugang zur Literatur nicht befördern. Das Niveau sei zu tief. Doch meine Bücher sind narrativ. Sie entwickeln sich über ein Jahr. Die Figuren haben ihre eigenen Geschichten, wie in einem Roman. Im Grunde sind die Wimmelbücher eine grosse Erzählung. Den Erwachsenen musste man erst erklären, dass die Figuren auf jeder Seite weitere Abenteuer erleben. Interessanterweise begriffen die Kinder das sofort. Da erkannten auch die Pädagogen, dass meine Wimmelbücher sehr wohl zum Sprechen und zum Erzählen anregen.