Auch in seinem neuen Buch «Fabeln von der Begegnung» ist Strauss wieder als Jäger und Sammler unterwegs: Er jagt und sammelt psychologische Befindlichkeiten, soziale Bewusstseinslagen und er verarbeitet sie zu seltsam irisierenden Texten.
Kurz sind die Fabeln, ein paar Zeilen oder ein paar Seiten, Träume, Parabeln, Beobachtungen. «Hören Sie meine Erzählung, bevor Sie sich weiter entkleiden!», beginnt so ein Stück. Es ist die Geschichte einer vergeblichen Verführung. Unvermittelt steht sie da und verschwindet wieder.
Überfallartig oder jäh abbrechend
Es ist der Reiz des Plötzlichen in diesen Texten, die dabei auch verschroben und verspielt sein können. Manche beginnen wie ein Überfall, andere hören einfach auf. Dass auch das kein Nachteil ist, darin liegt die Kunst des Autors Botho Strauss. Er analysiert den Augenblick. Seine Figuren haben unerhörte Namen, «das Problem» und «die Lösung» heissen sie, oder sie treten als «die Beflüsterte» auf.
Einzelperson und Phänotyp, das geht in diesen Fabeln zusammen wie ein Spiel. Es sind Fabeln, die ohne Tiere auskommen und die keine Lehre haben, die sich schnell entschlüsseln lässt. Keine Füchse und Raben also, keine Biber und Dachse, keine Erklärmodelle der Welt in pädagogischer Absicht.
Das Geschehen vom Rand beobachten
Botho Strauss schreibt einfach Fabeln vom Menschen. Er zeigt sein Personal in dessen aktueller Verfassung: «Stärkere Verdichtung eingeweihter Kreise bei immer noch sehr guter Stimmung», heisst es da. Und das trifft. Mühelos ist darin das seelische Gebaren in der Finanzkrise zu erkennen, ohne dass der Autor die Soziologie bemüht. Botho Strauss sieht das Geschehen vom Rand her. Das schärft den Blick.
An den nordöstlichen Rand Deutschlands ist er gezogen, weg vom Berlin seiner grossen Theatererfolge, in die Uckermark. Es war ein Rückzug nach dem Skandal um seinen grossen Bewusstseins-Essay «Anschwellender Bocksgesang» von 1993. Der Star-Autor wurde zur Unperson. Ein Lieblingsfeind für viele. Doch das ist Geschichte.
«Das, was Debatten führt»
«Das war eine intellektuelle Affekthandlung aufgrund der deutschen Wiedervereinigung», sagt er. Es ging gegen linke Konventionen, gegen saturiertes Denken. Die Lage ist anders heute, radikal verändert: sozial, politisch, technologisch. Gesellschaft ist für Strauss jetzt «nur noch das, was Debatten führt»: «Was wäre darüber zu sagen?»
Lieber will er über die «Inseln im Geschehen» sprechen. Das hat er immer getan – und er tut es auch jetzt, in diesen wunderbaren Fabeln von Begegnungen und unerhörten Momenten. Sein Fazit: «Was jetzt noch geschieht, berührt nichts von dem, was einem geschah. Das Geschehen versteht das Geschehene nicht. Ist es nicht so? So ist es doch.»