Der Autor Anthony Burgess mochte den Roman nicht, und doch ist es sein berühmtester geworden: «A Clockwork Orange», Uhrwerk Orange. Als das Buch 1962 in England erscheint, ist der Skandal da. Der britische Katholik Burgess schreibt über den Schock der Gewalt. Den surrealistischen Titel hatte er aus zufällig mitgehörten Gesprächsfetzen in einem Pub montiert.
Das Böse als Lust und Selbstzweck
Alex, der Ich-Erzähler, ist Anführer einer Jugendgang in einem Londoner Vorort. Zynisch kalt ist sein Bericht der laufenden Ereignisse. Er erzählt einfach nur, was sie tun, er und Georgie, Pete und Dim, seine «droogs» auf ihren Streifzügen durch die Stadt. Sie langweilen sich, hängen in Bars ab, nehmen Drogen, überfallen Leute, schlagen, quälen, vergewaltigen. Alles nur so, ein Zeitvertreib, ohne Vorsatz, ohne Plan. Moral ist eine unbekannte Grösse und das Böse Lust und Selbstzweck.
Alex liebt Beethoven, für ihn «Ludwig van», Händel und Mozart. Er ist hoch intelligent, ein Leader ohne Skrupel, der mit 16 die Eltern beherrscht. Auch Züge des Dandys hat Burgess in das Psychogramm seiner Figur gemischt: Mode, Coolness und Terror. Erst als Alex einen Mord begeht und seine Freunde ihn verraten, kommt er in Haft. Er wird verurteilt und nun vom Subjekt zum Objekt der Gewalt. Seiner Anarchie begegnet die Diktatur. Staatlicher Zwang ersetzt individuelle Freiheit, das ist die pädagogische Volte des Autors.
Kubricks Bild der «Ludovico-Therapie»
Das prägende Bild dazu hat der Regisseur Stanley Kubrick geschaffen. Er verfilmt den Roman 1971: Alex sitzt im Gefängnis-Kino, allein. Gefesselt, die Augen weit aufgerissen und die Augenlider fixiert, muss er zu Beethovens Musik wieder und wieder die Bilder von Gräueltaten ansehen.
Das ist das Leitbild der Umerziehung – und sie wird gelingen, restlos. Künftig wird Alex sich übergeben müssen, wenn er Gewalt sieht und Beethoven hört. Die «Ludovico-Therapie» ist erfolgreich. Die Methoden des Psychologen B. F. Skinner stehen bei Burgess hinter diesem Modell.
Für die Freiheit, trotz Gewalt
Schwer erträglich und suggestiv zugleich ist diese Zukunftsvision aus der Vergangenheit. Burgess' erste Frau Lynn war während des Krieges von Jugendlichen überfallen und vergewaltigt worden. Und doch: Burgess nimmt Partei in diesem Roman, für die Freiheit, auch wenn sie mit Gewalt durchsetzt ist. Gegen Zwang und pädagogische Zurichtung.
Die Autonomie ist das Entscheidende, die Freiheit, selbst zu wählen zwischen Gut und Böse. Didaktisch ist auch der Schluss der Urfassung, nach Art des Entwicklungsromans: Alex ist älter geworden. Ein Spiesser, der eine Familie gründen will und der die Jahre der Gewalt ablehnt. Burgess fand seinen Roman dann «zu didaktisch um Kunst zu sein». Oder: «Kunst in der Arena der Moralität».
Bizarrer Jugendslang
Das ist der schwankende moralische Plafond, sicher. Neu aber ist die Sprache, die Burgess für diesen Roman erfindet. Es ist «Nadsat», eine bizarre Kunstsprache aus Modewörtern und pseudorussischem Kauderwelsch. Ein zeitloser, seltsamer Jugendslang, den die neue Übersetzung von Ulrich Blumenbach besser herausstellt. Es gibt ein Glossar im Anhang des Buches, aber man versteht auch ohne diese Hilfe, je länger je mehr. Burgess' Stil entwickelt einen besonderen Sog. «Clockwork Orange» ist eine Vision aus der Vergangenheit. Sie hat Zukunft.