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Literatur Daniel Kehlmann wirft in «F» moralische Fragen auf

Der jüngste Streich des Bestsellerautors Daniel Kehlmann trifft ins Herz unserer Gesellschaft. Sein Familienroman «F» ist ein moralischer Spiegel unserer Gegenwart. Der seinerzeit als frühreif etikettierte Bestsellerautor landet damit im Hier und Jetzt.

Der Kehlmannsche Urknall über den Mathematiker Carl Friedrich Gauss und den Naturforscher Alexander von Humboldt produzierte eine Erfolgswelle von weltweit sechs Millionen Exemplaren. Mit «Die Vermessung der Welt» hat sich Kehlmanns Erfolg verselbstständigt. Geht man anders an die neue Lektüre eines Bestsellerautors heran? Ja. Denn Grosserfolg und Wunderkind sind nicht die besten Eltern. Eine Portion Skepsis schadet nicht.

Familienroman unter Männern

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Daniel Kehlmann: «F». Rowohlt, 2013.

«F» steht für Familie, für den Familiennamen Friedland. Den hat sich Kehlmann bei Schiller ausgeliehen. Wallenstein ist nämlich der Herzog von Friedland. Im Bedeutungshof von «F» stehen aber auch Fatum (lat. Schicksal), Finanzkrise und, last but not least, Fiktion. Kehlmanns neuer Roman ist eindeutig im deutschen Kulturraum verortet. Er spielt aber nicht an geographisch lokalisierbaren Schauplätzen.

Vater Arthur Friedland ist ein mässig erfolgreicher Schriftsteller, der längst in Deckung gegangen ist, damit niemand etwas von ihm will. Insofern ist der Titel seines Hauptwerks «Mein Name sei Niemand» angebracht. Friedland führt mit seinen Teenager-Söhnen Martin und den Zwillingen Iwan und Eric anfänglich noch weltanschauliche Gespräche. «Gott gibt es nicht», sagt Arthur, «das ist der Fehler.» Es scheint, wie wenn die Friedlands diese theologische Nichtigkeitserklärung verinnerlicht hätten.

Kollidierende Lebensentwürfe

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Interview mit Daniel Kehlmann zu «F»
04:10 min
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 10 Sekunden.

Martin ist ein atheistischer Priester, der zu feige ist, aus der Kirche auszutreten. Iwan ist Maler und Kunsthändler, Eric leitet eine Investmentfirma. Die Friedlands kollidieren mit ihren Lebensentwürfen. Vater Arthur taucht ab, der ungläubige Priester Martin behauptet in erster Linie das Feld als Virtuose mit dem Rubik-Würfel, dem mechanischen Geschicklichkeitsspiel aus den frühen 80er Jahren.

Arthur Friedlands Frau arbeitet als Augenärztin und ernährt ihren Mann, den Schriftsteller. Die Frau von Arthurs Sohn Eric versucht verzweifelt an dessen Seite klar Schiff zu halten, als Eric als Finanzberater abstürzt. Die Frauenfiguren in diesem Roman sind nur am Rande in den Männerbund eingebunden. Sie sind nicht Opfer, sondern der Not gehorchende, autonome Figuren in einer Gegenwelt.

Kunst und Finanzspekulation

Der dominierende Themenkreis ist die Kunst als Berufung. Wer sich ihr verschreibt, soll ihr alles unterordnen. Man erarbeitet sich das mit mönchischer Askese. Dafür steht Arthur. Sein Sohn Iwan lässt sich hingegen korrumpieren. Mit eigenen Kunstwerken schafft er nur Mittelmass. Also macht er sich an einen Maler namens Eulenböck heran, der schon im Handel präsent ist. Er kopiert für ihn dessen Werke und versieht sie je mit einem neuen Motiv aus der Kunstgeschichte. Mit dem Resultat, dass jeder neue Eulenböck reissenden Absatz findet. Autor Kehlmann ironisiert dieses profitorientierte Plagiieren mit einer süffisanten Fussnote. Iwan bricht nämlich eine Dissertation ab zum Thema «Mediokrität als ästhetisches Phänomen».

Eric schliesslich wächst das Spekulationsgeschäft aus dem Ruder. Die von ihm geführte Investmentbank wird von einer sogenannten Finanzkrisenwelle in Schieflage gebracht. Eric wird darob fast paranoid. Und scheint, nachdem ihm seine Frau, die Schauspielerin Laura, den Laufpass gegeben hat, vollends den Boden unter den Füssen zu verlieren.

Glänzen kann Kehlmann vor allem in den dialogischen Partien, wo dieser Roman zur imaginären Bühne wird. So wie dieser zyklische Roman beginnt und aufhört: bühnenreif. Mit einem Hypnotiseur und einem Kartenleger, wo kein Korn Wahrheit im Falschen liegt.

Wenig Tiefenschärfe – und trotzdem viel Substanz

Dieser Künstlerroman, der mit den Themen Glauben, Moral und Geldwirtschaft vernetzt ist, holt mit relativ wenig Tiefenschärfe der einzelnen Figuren erstaunlich viel Substanz heraus. Dies liegt an der Binnenstruktur, die die gesellschaftlichen Widersprüche klar zutage fördert.

Nein, «F» ist kein Thesenroman, denn da verkündet keiner irgendwelche feilen Politweisheiten. Kehlmann wirft hingegen wesentliche heutige moralische Fragen auf. Der Brennpunkt ist: Wie kann sich Kunst dagegen behaupten, vollends korrumpiert zu werden? Das ist wie ein Schuss vor den Bug. Und zwar ein bitter nötiger.

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