Was tut ein Schriftsteller, wenn er mit dem eigenen Sterben konfrontiert wird? Wenn mit einem Mal das verbleibende Leben überschaubar und die Zeit knapp ist? Für den Wortmenschen kann die Zeit bis zum bevorstehenden Tod zu einer letzten produktiven Phase werden. Das ist für den Leser faszinierend, denn die Lektüre rückt die eigene Endlichkeit in den Blick: Wie werde ich reagieren, wenn es soweit ist?
Literarische Vorlagen gibt es zahlreiche: Fritz Zorns Sterbebuch «Mars» erschien 1977 und sorgte für Furore. Das Kind der Züricher Goldküste zieht darin eine Parallele zwischen seiner Herkunft im grossbürgerlichen Milieu und seinem Kehlkopfkrebs.
«Warum denn ich?»
Beiträge zum Thema
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Wolfgang Herrndorf macht das genaue Gegenteil: «Die Frage «Warum ich?», ist mir dagegen noch nicht gekommen. Ohne gehässig sein zu wollen, vermute ich, dass diese Frage sich hauptsächlich Leuten aufdrängt, die, wenn sie Langzeitüberlebende werden, Yoga, grünen Tee, Gott und ihr Reiki dafür verantwortlich machen. Warum ich? Warum denn nicht ich? Willkommen in der biochemischen Lotterie.»
Das ist der Ton, den Herrndorf gerne anschlägt: unpathetisch, zynisch, nüchtern. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Herrndorf durchaus auch sentimental, verzweifelt und verletzlich sein kann. Dieser Wechsel im Tonfall, der Wechsel zwischen flapsigem Humor und glasklarer Verzweiflung macht «Arbeit und Struktur» so einzigartig: in der Art, wie das gemacht ist, nicht weil es um das Sterben geht.
Zeugnisse vom langsamen Sterben
Dass man die Frage «Warum gerade ich?» auch anders, nämlich gesellschaftlich stellen kann, zeigt auch der amerikanische Schriftsteller Harold Brodkey: «Das ärgerlichste am Tod auf der Türschwelle ist, dass es einem selbst passiert.» Ihm passiert es, er erhält 1993 die Diagnose Aids. «An Aids zu sterben bedeutet ausserhalb einer Tradition zu sterben, in einer Art von Schweigen.» Sein langsames Sterben während drei Jahren beschreibt er hart und in einer präzisen Sprache, auch in der (Selbst-) Beobachtung.
Zu den literarischen Zeugnissen des Sterbens gehört auch «Diktate über Sterben und Tod» des Strafrechtsprofessor Peter Noll. In den frühen 80er-Jahren wühlte sein Bericht die Schweiz auf. Diagnose Blasenkrebs; Noll verweigert die Operation als «apparative Hinauszögerung des Todes» und reflektiert stattdessen, ganz ohne Pathos, über die Justiz, über Macht und Gesellschaft, über den Tod und das Sterben.
Gegen die Sprachlosigkeit des Sterbens
Und dann Christoph Schlingensief, der grosse Theatermann und Provokateur. 2008 erhält er die Diagnose Lungenkrebs. Sein Sterbetagebuch «So schön wie hier kann's im Himmel gar nicht sein» ist eine radikale Selbstbefragung: Er ringt mit seinem toten Vater, mit Gott, mit seinem Werk. Besonders anrührend ist der Kampf des Vielredners «für die Autonomie des Kranken und gegen die Sprachlosigkeit des Sterbens.»
Auch Herrndorf trifft die Sprachlosigkeit. Buchstäblich. Denn sein Tumor im Gehirn lässt ihn seine Sprache vergessen. «Seit vielen Tagen keine Sprache mehr, Arbeit am Text reiner Unsinn, Worte, Fehler, Suche, Hilfe, Trauer, Sprache mündlich gar nicht. Stimme, Stimmen, Epilepsie von Panik alles nicht unterscheidbar. Dann ist Land wieder da, dann sinke ich zurück, ein Riesenirrsinn, jeden Tag, jeder Tag», schreibt er am 31. Mai 2013. Knapp drei Monate später nimmt er sich mit einem Schuss in den Kopf in Berlin das Leben.