David Sedaris verbrachte Kindheit und Jugend in North Carolina, zusammen mit fünf Geschwistern und einer Mutter, die Alkohol, Zigaretten und ein offenes Wort gleichermassen liebte. Wohingegen der griechisch-stämmige Vater allerlei Marotten frönte, darunter völlig abwegigen Ansprüchen an seine Kinder.
Schreiben als Obsession
Nachzulesen ist das in «Nackt», David Sedaris' Bestseller von 1997. Plus, dass der Autor schwul ist, nicht Auto fahren kann und bloss mit einem Finger tippt. Dass aus dem Traum, Schauspieler zu werden mangels Talent nichts wurde und die kläglichen Versuche als Konzeptkünstler auch nur zur Entdeckung von Methamphetamin führten – dessen Konsum einen willkommenen Ersatz bildete fürs Ablecken von Lichtschaltern, das Küssen von Treppenstufen und Briefkästen, das Kopfwackeln bis fast zur Bewusstlosigkeit und andere Zwänge mehr.
Selbst das Schreiben war und ist für David Sedaris «nichts weiter» als ein Tic. Damit angefangen hat er zufällig, als 20-Jähriger, bei einem seiner «odd jobs» als Apfelpflücker auf einer Plantage. Und es durchgezogen in seiner obsessiven Art, jeden Tag zur selben Zeit einfach drauflosgeschrieben, so, wie wenn er ein Instrument üben würde.
Mitkriegen, was los ist
Mit 36 war David Sedaris plötzlich ein gemachter Mann, nachdem er in Amerikas «National Public Radio» Texte über seine Tätigkeit als Zwerg im Weihnachtsland eines renommierten New Yorker Kaufhauses vorgelesen hatte, die später zum Theaterstück «Santaland Diaries» mutierten. Was ihn noch Jahre später nicht daran hinderte, an Tätigkeiten wie Anstreicher, Möbelschlepper und Gebäudereiniger festzuhalten. Weil er nie beabsichtigte, das Schreiben zum Beruf zu machen, weil er etwas Praktisches tun wollte, vor allem aber, weil er fand, er gehöre unter Leute:
«Wenn man einen Job hat, kann der einen zwar glücklich oder traurig machen, aber das liegt dann am Job. Wenn meine Berufstätigkeit aber darin bestünde, zu schreiben, wären meine Stimmungen davon abhängig, was ich an der Schreibmaschine zustande gebracht habe. Da war meine Arbeit als Putzmann viel realer. Ich habe teils richtige Schweineställe betreten und zufrieden blitzsaubere Häuser verlassen. Schreiben hingegen ist für mich nicht real. Kommt hinzu: Ich finde, man muss einen Platz in der Welt haben. Da gehört man hin. Um zu beobachten, zuzuhören, mitzukriegen, was los ist.»
Ganz normaler Wahnsinn
Die Texte, die David Sedaris aus seinen täglichen Schreib-Exerzitien destilliert, sind schonungslos autobiographisch. So begegnet der Sedaris-Fan in der Sammlung «Sprechen wir über Eulen – und Diabetes» zum Beispiel dem soweit ganz normalen Wahnsinn wieder, wie er in den 50er- und 60er-Jahren mittelständisches amerikanisches Familienleben prägte.
Und selbst die geübte Sedaris-Leserin lässt sich wieder von all den kleinen Abweichungen von eben diesem alltäglichen Wahnsinn berühren, etwa von der griechischen Grossmutter, die als junge Frau so quasi zur Zwangsheirat in die USA exportiert wurde, nie lesen und schreiben lernte und den Mythos vom Melting Pot durch ihr blosses Dasein Lügen strafte («Mit ihren düsteren schwarzen Kleidern und den zu einem altmodischen Dutt aufgesteckten grauen Haaren war sie das menschliche Äquivalent einer Gewitterwolke.»).
Und auch wer noch nie Sedaris gelesen hat, wird sich verblüffen lassen von den Stoffen, die der mittlerweile 56-Jährige unermüdlich aus seinem Hut zaubert, indem er sich selbst und die Welt um ihn herum aufs Genauste beobachtet und seine Eindrücke entwaffnend ehrlich zu Papier bringt.
Kindliche Offenheit
David Sedaris hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein Spinner ist. Und am meisten mokiert er sich noch immer über sich selbst. Sein Humor ist oft krud und schrill, aber Klischees interessieren ihn nicht. Noch immer will er zuerst einmal wissen, was Menschen zu sagen haben, denen normalerweise niemand zuhört, weil sie nach offizieller Meinung nicht richtig ticken. Und noch immer hat er diese kindliche Art, sich über die Welt nicht aufzuregen, sondern sich vielmehr zu wundern.