«Es war eine einhellige Entscheidung und wir sind sehr glücklich darüber», verkündet die Jury bereits vor Bekanntgabe der Gewinnerin Terézia Mora. Wichtig sei gewesen, einen Gegenwartsroman auszuzeichnen und nicht etwas, das schon im 19. Jahrhundert da war.
Die Jury sichtete mehr als 200 neue Romane von Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nominiert waren neben Terézia Moras Roman «Das Ungeheuer» Clemens Meyer mit «Im Stein», Mirko Bonné mit «Nie mehr Nacht», Reinhard Jirgl mit «Nicht von euch auf Erden», Marion Poschmann mit «Die Sonnenposition» und Monika Zeiner mit «Die Ordnung der Sterne über Como».
Die Begründung der Jury
Die Jury nennt «Das Ungeheuer» von Terézia Mora einen tief bewegenden und zeitdiagnostischen Roman: «Der Roman ist ein stilistisch virtuoser, perspektivenreicher Nekrolog und eine lebendige Road-Novel aus dem heutigen Osteuropa. Terézia Mora findet eine radikale Form, der verstorbenen Flora und ihrem Leiden, das sie Darius nicht mitteilen konnte, eine Stimme zu geben. Als Schriftstellerin gelingt es Mora, zwei Charaktere, die sich im Leben verfehlten, und zwei Textformen miteinander in Verbindung zu setzen. Terézia Mora vereint hohes literarisches Formbewusstsein mit Einfühlungskraft.»
Eine sichtlich überraschte Gewinnerin
Die ausgezeichnete Autorin kommt auf die Bühne – sichtlich überrascht. «Ich habe keine Rede vorbereitet, kleingläubig wie ich war», erklärt sie. Was für ein Buch sprechen könne, könne auch dagegen sprechen. Ihr Pressesprecher habe ihr einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem stehe: «Zum Beispiel könnte man sagen 'Thank you mom'».
Terézia Mora bedankt sich dann auch. Bei ihrem Lektor, dem Verlag, ihrer Mutter und allen anderen, «die dafür sorgen, dass ich und mein Kind etwas zu essen bekommen wenn ich schreibe.» Auch für ein Buch brauche es ein Dorf. Sie arbeite in ihren Romanen sehr gerne mit Helferfiguren. Ihre Helden würden immer sehr davon profitieren, auch anderen zu begegnen. «Und so geht es mir auch.»
Zum zweiten Mal mit dabei
Sie bedankt sich auch bei der Jury, speziell für die Aussage, einen Gegenwartsroman auszeichnen zu wollen und nicht etwas, das schon im 19. Jahrhundert da war. «Das geht mir runter wie Öl, ehrlich gesagt.» Sie stehe mit ihrem gesamten Leben hinter jedem einzelnen Satz.
Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren. Sie lebt in Berlin und gehört zu den renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Ungarischen. Bisher erschienen von ihr der Erzählband «Seltsame Materie» und die beiden Romane «Alle Tage» und «Der einzige Mann auf dem Kontinent». Sie erhielt zahlreiche Preise, u.a. den Ingeborg Bachmann Preis (1999) und den Mara Cassens Preis (2004).
«Folgerichtige und mutige Wahl»
Mit «Das Ungeheuer» nahm Mora zum zweiten Mal am Wettbewerb um den «Deutschen Buchpreis» teil. 2009 stand sie mit dem Vorgängerbuch «Der einzige Mann auf dem Kontinent» auf der Longlist.
«Die Jury hat eine folgerichtige und mutige Entscheidung getroffen», kommentiert Michael Luisier, Literatur-Redaktor bei SRF Kultur die Preisverleihung. Folgerichtig, weil «Das Ungeheuer» einer der ganzen starken Romane der heutigen Zeit sei. Und mutig, weil der Preis auch zum Ziel habe, den Buchverkauf anzukurbeln. «Und Terézia Mora geht formal soweit, dass sie zwei Texte in einen Roman verpackt, einzig getrennt durch eine schwarze Linie in der Mitte der Seite – von Volumen und Anspruch her nicht leichte Kost.»
Der Roman «Das Ungeheur»
Flora hat Selbstmord begangen. Kopp bleibt zurück mit ihrer Asche in einer Urne und einer Datei, in der die Ungarin Flora Tagebuch über ihre Krankheit führte. Darius Kopp und Flora waren ein Ehepaar, er ein Jedermann, der seine Frau mehr als alles, aber heillos liebte und überfordert war von ihrer Krankheit, ihren Depressionen. Im Roman macht Kopp sich auf den Weg durch Osteuropa von Ungarn nach Kroatien, nach Albanien und immer weiter bis er schliesslich in Griechenland strandet, auf der Suche nach einer Heimat für die Asche und seine Verzweiflung.
«Ich liebe dieses Buch, ich bin überzeugt davon und bin stolz darauf, wie es geschrieben ist und dass ich es so schreiben konnte», erklärt Mora gegenüber SRF2 Kultur. Das wäre auch so, wenn sie den Preis nicht gewonnen hätte. Der bereits im Voraus an die Verleihung viel besprochene schwarze Strich, der sich mittig auf jeder Seite und durchs ganze Buch zieht und die beiden Geschichten von Flora und Kopp trennt, der Text allgemein, sollen ein Leseerlebnis jenseits der Wörter ermöglichen. «Beim Schreiben stelle ich mir immer den Prozess des Lesens vor. Der Leser soll unbewusst in einen Zustand geraten, in dem der Held gerade ist.»
Endrunde ohne Schweizer Beteiligung
Schweizer standen dieses Jahr keine auf der Shortlist. Die vier Schweizer, die es auf die Longlist schafften, waren zuvor ausgeschieden. Auf der Longlist waren Urs Widmer mit «Reise an den Rand des Universums», Ralph Dutli mit «Soutines letzte Fahrt», Jonas Lüscher mit «Frühling der Barbaren» und Jens Steiner mit «Carambole».