Friederike Gösweiner hat mit ihrem Roman «Traurige Freiheit» in diesem Frühjahr ihren schriftstellerischen Erstling vorgelegt. Ein Debüt, das sich mit dem Thema Einsamkeit in der heutigen Zeit auseinandersetzt. Es erzählt die Geschichte einer jungen Frau um die 30, die eigentlich alles richtig macht auf ihrer Suche nach dem richtigen Leben – und trotzdem daran scheitert.
Die Frau ist in einer Gesellschaft gross geworden, in der theoretisch alles möglich scheint, in der die Generation der 30-Jährigen aber oft an Einsamkeit und Überforderung scheitern. Ein Thema, das Friederike Gösweiner schon länger umtreibt: Sie hat an der Universität Innsbruck zum Thema «Einsamkeit in der jungen deutschsprachigen Literatur der Gegenwart» mit summa cum laude promoviert.
Einsamkeit ist das grosse Thema von Gösweiner – und damit ist sie nicht alleine. Viele Schriftsteller schrieben darüber. Gösweiner verrät uns ihre drei Vorbilder – allesamt aus der zeitgenössischen Schweizer Literatur.
1. Christian Kracht: «Faserland»
Christian Krachts Debütroman ist 1995 erschienen und hat damals den Nerv einer ganzen Generation getroffen. Neu war auch der flapsige, mündliche Parlando-Ton, der damals Einzug in die deutschsprachige Literatur gehalten hat. Das Buch zeigt einen namenlosen Ich-Erzähler, der vom Norden Deutschlands eine Reise Richtung Süden antritt, unterwegs Halt macht bei Freunden und von einer Party zur nächsten eilt. Zwischen Drogen, Alkohol und allzu oberflächlichem Smalltalk ist er seiner inneren Einsamkeit völlig wehrlos ausgeliefert. Denn im Grunde hat er niemanden, der ihm tatsächlich zuhören würde – so wie er kaum jemandem tatsächlich Gehör schenkt. Er ist, obwohl er sich ständig unter Menschen bewegt, mit sich allein. «Faserland» zeigt ein Ich, das einzig um sich selbst kreist, das verlernt hat, Beziehungen zu anderen aufzubauen und zwischen scheinbar unendlichem Amüsement und materiellem Überfluss zutiefst unglücklich ist und in seinem Unglück völlig hilflos wirkt. Eine «road novel», die inzwischen Kultstatus geniesst und amüsant erzählt, aber doch ein zutiefst trauriges Buch ist über das einsame narzisstische Ich der Überflussgesellschaft.
2. Zoë Jenny: «Das Blütenstaubzimmer»
Die Einsamkeit in Zoë Jennys Debüt von 1997 ist jene des vernachlässigten Kindes in einer zutiefst egoistischen Gesellschaft, beschrieben in einer höchst poetischen, bilderreichen Sprache. Nicht umsonst sorgte das Debut seinerzeit für Aufsehen. Der Roman erzählt vom zweifachen Verlassenwerden eines Mädchens durch die Mutter: Schildert der erste Teil Jos kindliches Erleben der Scheidung der Eltern, erzählt der zweite von Jos Suche nach der Mutter als junge erwachsene Frau, die beschliesst, ihre Mutter zu besuchen. Die führt mit einem neuen Mann und ohne jegliche mütterliche Verantwortung in der Ferne ein «freies» Leben. Doch das Wiedersehen stillt die Sehnsucht nach der abwesenden, unerreichbaren Mutter nicht. Immer noch kann die Mutter ihre Rolle nicht annehmen. Nach dem plötzlichen Tod ihres Partners ist es Jo, die ihre eigene Mutter bemuttert, bis diese sie ohne Ankündigung eines Tages allein im Haus zurücklässt. Das kindliche Trauma des Verlassenwerdens durch die Mutter wiederholt sich, und nachdem auch der Vater inzwischen eine neue Familie gegründet hat, bleibt Jo am Ende ganz allein mit sich. Buchstäblich verlassen von beiden Eltern, die viel zu sehr mit ihrem eigenen Lebensglück beschäftigt sind, als dass sie Jo die Aufmerksamkeit und die Liebe schenken könnten, um die sie als Tochter sosehr kämpft.
3. Lukas Bärfuss: «Die toten Männer»
Mit der Novelle «Die toten Männer» gab Lukas Bärfuss 2002 sein Prosadebüt. Es ist ein beklemmendes, dunkles, auswegloses Buch, dessen Sog man sich kaum entziehen kann. Das Buch lässt keinen Zweifel daran, dass Einsamkeit und Freiheit zwei Seiten derselben Medaille sind und ein Spannungsfeld erzeugen, das die menschliche Existenz wesentlich prägt: Ein Buchhändler, erfolgreich im Beruf, verheiratet, Vater einer Tochter, flüchtet aus seiner durchaus normalen, bürgerlichen Existenz. Alles ekelt ihn an, vor allem seine Frau, die er doch eigentlich einmal geliebt hat. Aber diese Liebe hat sich abgenutzt. Der Ich-Erzähler empfindet die Beziehungen, die er hat, geradezu als Gefängnis, als etwas, das ihn erstickt, unglücklich und einsam macht. Er verlässt also die Familie, isoliert sich sozial, meidet die Gesellschaft. Aber die angetretene Flucht gelingt ihm nicht dauerhaft. Als ihn seine Frau bittet, mit der Familie zu verreisen, den Freund der Tochter kennenzulernen, gibt er nach. Doch gerade diese Zusammenkunft führt zu einer Katastrophe. Diese Katastrophe schliesslich ist es, die den Erzähler zurückführt zu seiner Familie – aber nicht als glücklichen Menschen, sondern als zutiefst einsamen, schuldigen, innerlich «toten» Mann.