Richard Flanagan ist einer der herausragendsten Autoren Australiens. Auch wenn seine Bücher im deutschsprachigen Raum wenig bekannt sind, kennen viele den Film «Australia» von Baz Luhrmann, der Weihnachten 2008 in die Kinos gekommen ist und für den Richard Flanagan das Drehbuch geschrieben hat. Ein monumentales Australien-Epos mit Nicole Kidman und Hugh Jackmann in den Hauptrollen, das während dem Zweiten Weltkrieg in Australien spielt.
Wie im Film thematisiert Richard Flanagan auch in seinem neuen Roman «The Narrow Road to the Deep North» die Geschichte Australiens am Beispiel tragischer Einzelschicksale.
Ein Tag im Leben eines Arztes in japanischer Gefangenschaft
«The Narrow Road to the Deep North», für den Flanagan nun mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet worden ist, ist von den Erfahrungen seines Vaters inspiriert. Dieser war während des Zweiten Weltkriegs als australischer Kriegsgefangener der Japaner beteiligt am Bau der Thailand-Burma-Eisenbahn – der sogenannten Todeseisenbahn. Bekannt wurde die Strecke durch den Film «Die Brücke am Kwai». Rund 94‘000 Zwangsarbeiter und 14‘000 alliierte Gefangene verloren beim Bau der Strecke damals ihr Leben.
Der Roman handelt von einem Tag im Leben eines Kriegschirurgen, der in japanische Kriegsgefangenschaft gerät und durch seine Qualifikation Befehlshaber über alle Zwangsarbeiter wird. Über jene, die sich mehr tot als lebend unter schrecklichsten Umständen – Nässe, Krankheit, Folter – am Bau der Todeseisenbahn abrackern müssen. Dorrigo Evans heisst Flanagans australische Hauptfigur, die in Nakamura, dem Kommandant des thailändischen Eisenbahncamps, seinen Gegenspieler findet.
In der Tradition der Lagerliteratur
Für die Anglistin Therese Steffen ist Richard Flanagans Roman in der Tradition von Lagerliteratur geschrieben. Erinnert sei hier an Alexander Solschenizyn oder Warlam Schalamow. Der Roman erzähle die doppelte Tragödie eines Menschen, der gleichsam von Liebe und Krieg versehrt werde. Der Dank der Liebe überlebe und doch nicht mehr ins Leben zurückfinde.
«The Narrow Road to the Deep North» ist ein eindrücklicher Roman über das Gute und Böse im Menschen und darüber, wie man überleben kann, nachdem man überlebt hat. Wie Richard Flanagan die Gräuel von damals in eine poetische Sprache verpackt, die das Schreckliche gleichsam noch schrecklicher werden lässt, macht betroffen. Nicht von ungefähr überreichte Herzogin Camilla den Preis am Dienstagabend in London einem sichtlich gerührten Flanagan.
Der Preis wird jetzt weltweit vergeben
Seit diesem Jahr können Schriftsteller aus der ganzen Welt die Auszeichnung bekommen – vorausgesetzt, ihr Werk ist im Original in Englisch geschrieben und in Grossbritannien erschienen. Zuvor war der Preis Autoren aus dem Königreich, dem Staatenbund Commonwealth und Irland vorbehalten gewesen.
Sponsor des Preises, der seit 1969 vergeben wird, ist seit 2002 die Investmentfirma Man Group. Im vergangenen Jahr hatte die erst 28 Jahre alte Autorin Eleanor Catton aus Neuseeland den Man Booker Prize als bisher jüngste Gewinnerin erhalten.