«Publikumsbeschimpfung» (1965)
«Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden. (…) Sie hören uns nicht zu. Sie hören uns an»: Das erste Stück des erst 23jährigen Jurastudenten war revolutionär. Das Publikum im alleinigen Fokus und schliesslich am Pranger: als Teil einer saturierten Gesellschaft, in der es vielen gelungen war, der Nazi-Vergangenheit zum Trotz in Amt und Würden zu bleiben.
Zwar sind wir es uns längst gewohnt, uns als Kulturkonsumenten in Frage stellen zu lassen. Aber wie Handke in «Publikumsbeschimpfung» an Selbstzufriedenheit, Engstirnigkeit und Egoismus rüttelt, ist immer noch so faszinierend wie aktuell.
«Die Innenwelt der Aussenwelt der Innenwelt» (1969)
Nicht nur der Titel ist wunderbar, das ganze Buch ist es. Ein Buch, das Wörter und Sätze abklopft, wie es später etwa das Künstlerduo Fischli/Weiss in «Findet mich das Glück?» tat. Ein Buch, in dem man kreuz und quer blättern kann. Ein Buch, das man immer wieder sinken lässt, weil es einen in eigene Geschichten entführt. Ein Buch, in dem vieles angelegt ist, was Peter Handke bis heute ausmacht: «mein Reizwort ist / jedes Wort / jedes Wort / ist ein Reizwort».
«Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» (1970)
Einst ein bekannter Torwart, macht der Monteur Josef Bloch eines Morgens auf der Baustelle rechtsumkehrt, nachdem er aus einer Geste des Poliers irrtümlicherweise geschlossen hatte, entlassen zu sein. Immer zielloser treibt er daraufhin durch Wien, dann, nachdem er einen Mord begangen hat, durch ein verlorenes Grenzdorf - nicht wirklich auf der Flucht, bloss durch alle Maschen gefallen.
«Die Angst des Tormanns beim Elfmeter», heute in aller Sportreporter Munde, wenn es darum geht, die spannungsgeladenen Momente vor besagtem Spielzug zu beschreiben, ist ein exemplarisches Buch über einen Menschen, dem die Wirklichkeit abhanden kommt.
«Wunschloses Unglück» (1972)
«Als Frau in diese Umstände geboren zu werden, ist von vornherein schon tödlich gewesen. Man kann es auch beruhigend nennen: jedenfalls keine Zukunftsangst. Die Wahrsagerinnen auf den Kirchtagen lasen nur den Burschen ernsthaft die Zukunft aus den Händen; bei Frauen war diese Zukunft ohnehin nichts als ein Witz.»
Mit beispielloser Genauigkeit versucht Peter Handke, einem ganz gewöhnlichen Frauenleben auf die Spur zu kommen, das doch auf verhängnisvolle Weise von den Zeitläuften geprägt war. Eines der schönsten und behutsamsten Mutter-Sohn-Bücher überhaupt.
«Kindergeschichte» (1981)
Lange bevor Kinder zum Lifestyle-Produkt wurden, hat Peter Handke seine Tochter mehrheitlich alleine grossgezogen und den ersten zehn Jahren des Zusammenlebens mit ihr ein Buch gewidmet. Es ist eine in eigentümlich altmodischer Sprache gehaltene, kritische Hymne ans Vatersein und eine Verbeugung vor dem Kind, das den Erwachsenen in die Pflicht nimmt wie nichts und niemand zuvor.
«Der Mann», heisst es einmal, bekam «immer öfter zu hören, dass er sich, so wie er lebe, und mit dem, was er tue, der Gegenwart entziehe und die Realität übersehe. Früher hätte er sich auf solche Vorwürfe wohl eingelassen. Aber nach all den Jahren mit dem Kind durfte ihm niemand mehr sagen, was das Wirkliche sei.»
Walker Percy: «Der Kinogeher» (1960). Aus dem Amerikanischen von Peter Handke
«Was ist das Wesen der Suche? fragen Sie. Es ist wirklich sehr einfach, zumindest für einen wie mich; so einfach, dass es leicht zu übersehen ist. Die Suche ist etwas, das jeder unternähme, wäre er nicht in die Alltäglichkeit seines Lebens versunken.» «The Moviegoer», das erste Buch eines 45jährigen Arztes, der wegen einer hartnäckigen Tuberkulose nie hatte praktizieren können, ist ein literarisches Juwel.
Es geht um einen jungen Mann aus begüterter, alteingesessener Familie in New Orleans, ein erfolgreicher Makler, der doch wie aus der Welt gefallen scheint. Um sich davon abzulenken, dass ihn sein Leben nicht zufrieden macht, geht er oft und wahllos ins Kino. Doch dann steht sein 30. Geburtstag bevor, und er erinnert sich an einen Vorsatz, vor Jahren gefällt im Koreakrieg: Wenn er überlebe, werde er sich auf die Suche machen. Nun nimmt er sie auf und beschreibt sie so unmittelbar und zwingend, dass sie sich nicht nur immer und überall abspielen könnte, sondern tatsächlich zu der «geltenden Geschichte» wird, wie Handke im Nachwort zu seiner Übersetzung schreibt.
Emmanuel Bove: «Meine Freunde» (1921). Aus dem Französischen von Peter Handke
«Wenn ich aufwache, steht mir der Mund offen. Meine Zähne sind belegt: es wäre besser, sie am Abend zu putzen, aber das bringe ich nie über mich. In meinen Augenwinkeln eingetrocknete Tränen. Die Schultern tun mir nicht mehr weh. Ein Haarschwall bedeckt meine Stirn. Mit gespreizten Fingern streiche ich ihn zurück. Ohne Erfolg: wie die Seiten eines neuen Buches richtet er sich auf und fällt mir wieder über die Augen.»
So beginnt die Geschichte eines Kriegsinvaliden, der sich nichts sehnsüchtiger wünscht, als einen Freund zu haben. Die Geschichte ist nicht deshalb spektakulär, weil sie aus der Feder eines 23jährigen stammt, oder weil sie mit fast schon wissenschaftlicher Akribie beschreibt, wie da einer
immer tiefer in Einsamkeit und materiellem Elend versinkt. Sie ist spektakulär, weil wir alles, und vielleicht mehr als uns lieb wäre, durch die Art und Weise erfahren, wie die Menschen in dem Roman auf die Dinge reagieren, die sie umgeben.