Doris Ryffels Augen beginnen zu leuchten, wenn man sie auf Montevideo anspricht. Jedes Mal, wenn sie mit dem Flugzeug dort lande, staune sie über das besondere Licht in dieser Stadt. «Es ist nicht grell, aber sehr, sehr hell, selbst im Winter. Und es kommt mir vor wie eine Umarmung.» Auch die Menschen in Uruguay würden eine grosse Liebenswürdigkeit und Offenheit ausstrahlen: «Jeder Besucher hat sofort das Gefühl, hier willkommen zu sein.»
Ein Jahr mit zwei Sommern
Seit sich Doris Ryffel aus Altersgründen aus ihrem Berufsalltag zurückgezogen hat, besteht ihr Jahr aus zwei Sommern: Wenn es in Europa kalt ist, geniessen sie und ihr Mann die Sommermonate in Montevideo – und wenn die Tage in Südamerika kürzer werden, wechseln sie wieder in die Schweiz.
Die Sehnsucht nach ihren Wurzeln hat Doris Ryffel durchs Leben begleitet: Die ersten 20 Jahre ihres Lebens hat sie in Montevideo verbracht. Diese Zeit hat sie bis heute geprägt.
Ihre Eltern waren in den 30er-Jahren als jüdische Emigranten aus Deutschland nach Südamerika gekommen. Zu Hause wurde immer deutsch gesprochen, in der Schule und mit Freundinnen verständigte sich Doris auf Spanisch. Als Uruguay dann in den 60er-Jahren zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet – eine Entwicklung, die schliesslich in der Militärdiktatur mündete –, kehrte die Familie nach Europa zurück.
Spezialisiert auf ADHS
Doris, damals knapp 20, studierte in Deutschland Medizin, erlangte den Fachausweis als Psychiaterin und wechselte – durch Heirat – nach Bremgarten bei Bern. Hier wuchsen ihre drei Söhne auf, und hier führte sie auch eine eigene Praxis. Ihr Spezialgebiet: ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätssyndrom – bei Erwachsenen. Sie war eine der ersten Psychiaterinnen im deutschsprachigen Raum, die sich diesem lange tabuisierten Thema widmete – und schrieb mehrere sehr erfolgreiche Sachbücher darüber.
Die eigene Geschichte vermischt sich mit Fiktion
Der Schritt zum eigenen Roman erfolgte dann eher zufällig: Doris Ryffel wollte für ihre Söhne persönliche Erinnerungen an Uruguay festmachen. Doch bald verstaute sie die begonnenen Aufzeichnungen in einer Schublade. Erst Jahre später fand sie diese Notizen plötzlich wieder und nutzte sie als Grundlage für ihren Erstlingsroman: «Auf Spurensuche am Río de la Plata – Aufzeichnungen einer jüdischen Emigration nach Uruguay.»
Vieles darin ist Fiktion – wie zum Beispiel die Hauptfigur: Mirjam wächst in Deutschland auf, studiert Psychologie und begleitet ihre Mutter Noemi durch eine schwere Krebserkrankung. Auf dem Totenbett übergibt diese ihrer Tochter ein Tagebuch mit Erinnerungen an ihre ersten 20 Jahre in Uruguay. Und bittet sie, ihre Asche dereinst in ihrer Heimat zu verstreuen.
Kein Klischee: Der Latin Lover
Mirjam erfüllt nach Noemis Tod deren Wunsch: Sie fliegt zum ersten Mal nach Südamerika, entdeckt den Zauber dieser Welt und stürzt sich in eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit ihrem Spanischlehrer. Er entspricht genau dem Klischee des charmanten, machohaften Latin Lovers. «Das ist kein Klischee», wehrt sich Doris Ryffel lachend, «Männer in Uruguay versuchen immer zu flirten und Frauen zu erobern – egal ob es ihnen gelingt oder nicht.»
Mirjam geht durch ein emotionales Wechselbad und konsultiert immer wieder das Tagebuch von Mutter Noemi. So lernt die Tochter auch vieles über ihre eigenen Wurzeln. Diese Notizen, die der Leser im Roman portionenweise serviert bekommt, entsprechen der Realität, sagt Doris Ryffel: «Noemis Alltag spiegelt meine eigenen ersten 20 Jahre in Uruguay.» Geschrieben hat sie den Roman für ihre Söhne: Damit auch sie mehr über die Geschichte ihrer eigenen Mutter erfahren.
Doris Ryffel hat darin auch gleich noch ihr Lieblingsrezept für «Alfajores» notiert – das National-Gebäck von Uruguay. Und sagt: «Wer sich an meine Angaben hält, wird garantiert Erfolg haben.»