Alles beginnt in Rumänien. Eugène zählt seine Jahre an den Fingern ab: Er ist fünf. Zusammen mit dem Bruder lebt er bei seiner Grossmutter in Bukarest. Vor einer Woche waren Papa-Mama auf einmal weg. «Sie machen lange Ferien», erklärt die Grossmutter. «Aber ihr dürft bald zu ihnen. Ihr werdet Bukarest verlassen, um bei ihnen zu leben, in einem unfassbaren Land».
Weggehen und Ankommen
Eugène Meiltz schreibt über seine Erlebnisse als Kind in der rumänischen Diktatur und über die heile Welt der Grossmutter, auch über böse Streiche und wie er und sein zwei Jahre älterer Bruder immer mit der Angst lebten, dass die Eltern sie deswegen nicht in die Schweiz holen könnten.
1976 ist es dann endlich soweit. Die Eltern, die ein Jahr zuvor an den Genfersee geflohen sind, holen den sechsjährigen Eugène und seinen Bruder Alex zu sich. Das neue Land ist faszinierend und fremd für den kleinen rumänischen Jungen. Es erinnert ihn an die Abbildungen auf der Schweizer Schokolade, die ihm die Eltern geschickt haben.
Zehn gute und zehn schlechte Dinge
«Hier ist die Geschichte meiner Kindheit in zwanzig Dingen», so beginnt Eugène
Meiltz seinen autobiografischen Roman. Er erzählt seine Geschichte chronologisch, hat dafür aber eine besondere Form gefunden: Er habe realisiert, sagt der Lausanner Autor, dass Gegenstände viel über einen Menschen verraten. Deshalb hat er zehn Dinge ausgewählt, die gut, und zehn, die schlecht für ihn waren.
Ein gutes Ding ist zum Beispiel ein Postpaket aus der Schweiz mit Spielsachen für die Buben. Man liest in diesem Kapitel aber auch, wie die Grossmutter gedemütigt wird. Bis die Postbeamten das Paket aushändigen, wird die alte Frau wegen Banalitäten x-mal wieder nach Hause geschickt. Das ist eine von 20 Geschichten aus Eugènes Kindheit.
Traurige Geschichten humorvoll erzählt
Eugène erzählt viel Intimes aus seinem Leben. Er beschreibt das Weggehen aus der alten Heimat und den Anfang im neuen fremden Land. Er erinnert sich an den Luxus mit Farbfernsehen und Dunstabzug, an die fremde Sprache, an die Ausgrenzung und das Anderssein, an die ersten sexuellen Entdeckungen und an den Tod des Vaters. Er tut es ohne Selbstmitleid und mit viel Humor.
Anrührend ist das Kapitel «Ein Schuh im Land-da-oben». Auch das ist ein ominöses Ding aus Eugènes Kindheit. Seine Eltern, die bisher nur auf Autobahn-Raststätten picknickten, schicken den Jungen mit völlig unpassenden Halbschuhen auf eine Schulreise in die Berge. Er verliert den Schuh im Schlamm und findet ihn nicht mehr. Um ja nicht aufzufallen, läuft er weiter – auf Socken über Stock und Stein. Das sei der schlimmste Tag seiner Kindheit gewesen, sagt Eugène Meiltz heute. Er habe sich damals unglaublich geschämt für seine Herkunft und seine Familie.
Sprache als Heilmittel
Das Kind Eugène war lange schüchtern, stotterte und litt an einer schmerzhaften Rheumakrankheit. Die Freude an der Sprache, das Geschichtenschreiben und Theaterspielen haben ihm über schwere Zeiten geholfen.
Eugène liebt die Sprache und spielt mit ihr. Am Anfang lebten seine Geschichten nur von Action und Dialogen. Beschreibungen von Landschaften und Gefühlen hasste er. Heute unterrichtet der sympathische Lausanner «Kreatives Schreiben» am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel, und zwei Jahre lang war er Präsident des Schweizerischen Schriftstellerverbands.
«Ein Unfassbares Land» ist sein erstes Buch, das auf Deutsch übersetzt wurde. Es ist erfrischend und humorvoll, melancholisch und berührend. Lesenswert auf jeden Fall.