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Autor Feridun Zaimoglu.
Legende: Spricht Klartext zur aktuellen politischen Situation: der türkischstämmige Autor Feridun Zaimoglu. SRF/Matthias Willi

Literatur Feridun Zaimoglu: «Ich bin kein politischer Musterknabe»

In seinem neuesten Buch «Siebentürmeviertel» greift Feridun Zaimoglu ein wenig bekanntes Kapitel Geschichte auf: Deutsche, die während der Naziherrschaft in die Türkei geflüchtet sind. Sein Roman hat eine geradezu überraschende Aktualität. Ein Gespräch in Solothurn über Fiktion und Realität.

Feridun Zaimoglu, Ihr Roman trifft mit seiner Thematik von Vertreibung und Heimatlosigkeit einen Nerv der Zeit. Auch wenn die Situation Ihres Helden – dem deutschen Jungen Wolf – ganz anders ist als etwa jene von syrischen Flüchtlingen; und sich auch unterscheidet von Ihrem eigenen Schicksal als Kind türkischer Gastarbeiter, die in den 60er-Jahren nach Deutschland emigrierten. Wo sehen Sie das Verbindende all dieser Erfahrungen?

Zur Person:

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Feridun Zaimoglu kam 1964 in Bolu, Türkei zur Welt. Er lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, studierte Kunst, Humanmedizin und arbeitet heute als Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2007 mit dem Grimmelshausen-Preis und 2010 mit dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis.

Feridun Zaimoglu: Ich glaube, wir wurden alle überrascht – um es mal vornehm zu sagen. Es wäre eine nicht zulässige Beschönigung, wenn man sagen würde: Die Schranken wurden durchbrochen und dann kamen die Menschen. Ich finde es schwierig, von den Flüchtlingen zu sprechen. Vergessen wir nicht: Es herrscht Krieg im Nahen Osten; es gibt politische Gründe, warum die Menschen fliehen.

Was mich verärgert ist der Hang der Politiker, die Dinge voneinander abzukoppeln, Ursache und Wirkung nicht zu benennen und diffuse Informationen zu verbreiten. Die Folge ist eine grosse Verunsicherung vieler Menschen in Europa. Und vor diesem Hintergrund haben dann die rechten Populisten Auftrieb, die zur Definition des Eigenen unbedingt die Abwehr des Fremden brauchen. Heute sind es die Flüchtlinge, gestern waren es die Ausländer.

In meinem Buch, das ja Ende der 1930er-Jahre spielt, muss sich der deutsche Junge Fragen stellen zur Loyalität, zur Zugehörigkeit, zur Selbstverortung. Selbst in diesem «Siebetürmeviertel» gibt es fremdstämmige Türken die ihm unterstellen, er sei ein Getarnter, er sei auf Täuschung aus; immer wieder provozieren sie ihn mit der Frage: «Du bist doch Deutscher, was suchst du hier?»

Klar, der Roman erzählt eine fiktive Geschichte – das andere ist die Wirklichkeit. Ich bin natürlich froh darüber, wenn das einen Wiedererkennungswert besitzt und sich die Leserinnen und Leser sagen: Es ist zwar ein Roman, aber einige Fragen, die ich auch im realen Leben habe, die werden hier beantwortet.

Ist es für einen Schriftsteller eigentlich eine Chance, wenn sein Stoff von der Realität eingeholt wird – oder lenkt dann diese Aufmerksamkeit eher vom Literarischen ab?

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Ich warne vor Übertreibung; ich habe weder ein Manifest noch einen Konzept-Roman geschrieben. Und ich habe ganz sicher nicht auf die Wirklichkeit geschielt, sondern es war an der Zeit, dass ich diese Geschichte aufschreiben wollte. Also: Es wäre schön, wenn man zuerst die Geschichte sieht, und sie dann für den einen oder anderen Leser als Sprungschanze in die Gegenwart herhalten kann.

Sehen Sie sich denn als Schriftsteller und kritischer Zeitgenosse auch in der Pflicht, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen – vielleicht nicht unbedingt in den Werken selber?

Ehrlich gesagt bin ich ein dekadenter, bürgerlicher Schriftsteller. Ich liebe zu sehr das Leben, und ich liebe die Abweichung. Und ganz sicher verstehe ich mich als Schreiber nicht als Musterknabe. Und schon gar nicht als politischen Musterknabe. Wenn ich dann einmal sauer werde über das unverschämte Lügen des politischen Establishments, melde ich mich dann schon zu Wort und bin dabei nicht immer politisch korrekt. Dann sind immer einige Leute verärgert, aber bislang waren es immer die richtigen. Dann habe ich mich jeweils gefreut wie das Äffchen auf dem Schleifstein.

Sie haben ja auch öffentlich Kritik geübt an der Art und Weise, wie das offizielle Deutschland die Flüchtlingskrise zu bewältigen versucht. Was glauben Sie: Wo versagt denn in dieser Frage die Politik?

Es gibt natürlich in dieser Angelegenheit nicht nur eine Antwort. Man muss sich zum Beispiel fragen, wieso eine so rechtspopulistische Partei wie die AfD oder die Pegida-Bewegung erstarken. Ich kann mit dem Begriff «der besorgte Bürger» nichts anfangen; auch die Bezeichnung «Protestwähler» finde ich in diesem Zusammenhang falsch.

Wir leben in Europa in reichen Ländern. Und viele dieser Länder zerbomben – zusammen mit den USA – Staaten im Nahen Osten. Die Folge davon: Die Menschen dort hauen ab. Aber dieser Zusammenhang wird hierzulande kaum wahrgenommen.

Ich würde es zum Beispiel begrüssen, wenn die USA – die im Grunde genommen viele Kriegssünden begangen haben – vielleicht das Hauptkontingent der Flüchtlinge aufnehmen würden. Aber ich glaube, gestern wie heute gilt: Jene Politik, die glaubt, über die Demütigung anderer Menschen reüssieren zu können, muss bekämpft werden. Ich bin ein altmodischer Humanist, und habe mich bislang nicht vom Gegenteil überzeugen lassen. Es ist unanständig, andere Menschen zu verunglimpfen – wer das macht ist ein Lump. Also raus, hoch mit dem Arsch, raus auf die Strasse und Menschen helfen. Das ist meiner Meinung nach der richtige Umgang unter Menschen. Dass man einander liebt – aber auch miteinander schimpft.

Buchhinweis:

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Feridun Zaimoglu: Siebentürmeviertel, Verlag Kiepenheuer&Witsch, 2015

Worin besteht denn Ihrer Meinung nach die Kraft der Literatur? Was können Bücher letztendlich bewirken?

Wissen Sie: Ich bin glücklich, dass ich so machtlos bin. Die Zeit des investigativen Schriftstellers, die ist längst vorbei. Ich schreibe Romane; einige können etwas damit anfangen, andere weniger. Und die Kraft besteht einzig im Urteil der Leserinnen und Leser. Und ich mag es nicht, wenn Autoren sich anmassen, das Leben der Menschen mit den eigenen Büchern verkeimen zu können. Ich, als Schriftsteller bin nichts Weiteres als ein Arbeiter im Weingarten des Herrn.

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