Ihr erster Krimi-Comic war 1988 «Der Chinese» nach dem gleichnamigen Roman von Glauser. Sofort ein grosser Erfolg – inwiefern passte er in den Zeitgeist?
Hannes Binder: Beim «Chinesen» habe ich mir gedacht, das muss ich zeichnerisch adaptieren. In der deutschen Schweiz tummelte sich in den 80er-Jahren eine ganz junge Szene von Zeichnern. Ich war damals schon um die 40 Jahre alt, hatte zwei Töchter, musste Geld verdienen. Mich hat es angesprochen, einen Klassiker visuell umzusetzen. Für mich war das alles Neuland. Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutet, ein Werk zeichnerisch umzusetzen.
Autodidaktisch lernte ich, Handlungen in Szene zu setzen, neu zu dramatisieren, Wichtiges wegzulassen. Die Dialoge von Glauser übernahm ich werkgetreu. Sie waren lang und das erschwerte alles, denn ich musste recht grosse Sprechblasen machen. Eigentlich war dieser erste Versuch unbefriedigend für den Zeichner. Zu viel Erklärungsbedarf, zu textlastig, zu wenig Platz für die Illustrationen. Das kleine Taschenbuchformat war eine weitere Erschwernis. Dennoch wurde der Band ein Bestseller. Diese Kunstform war neu, überraschte und verkaufte sich gut. Das Ganze fiel in die Zeit, als die Deutschschweizer die Comics entdeckten. Eine Kunstform, die sich in der Westschweiz schon längst etabliert hatte.
Dann folgten die Adaptionen der beiden Glauser-Krimis «Krock & Co.» und «Knarrende Schuhe». In «Wachtmeister Studer im Tessin» übernahmen Sie die Romanfigur des Wachtmeisters Studer und kreierten eine neue Erzählung. In «Glausers Fieber» liessen Sie den Schriftsteller Glauser seinen eigenen Roman «Die Fieberkurve» schreiben. Sie lösten sich zunehmend von den Vorlagen. Nach 23 Jahren, im Jahr 2012 erschien der «Gesamtglauser», ergänzt um eine Geschichte, in dem der Unterschied zwischen Glauser und Binder ganz verschwindet. Wie kam das?
Meine Beziehung zu Glauser wurde in diesen 25 Jahren immer kollegialer. Am Anfang habe ich mich kaum getraut, etwas zu ändern. Ich bewunderte Glauser für alle seine Einfälle. Heute gehe ich mit seinem Material viel freier um. Glauser ist mit 42 Jahren gestorben, ich bin jetzt 66 und habe zu ihm eine ganz eigene Affinität. Eigentlich war er mein Fährmann von der Sprache ins Bild.
Mit der Zeit wurde Glauser für mich schon fast so eine Art Familienmitglied. Er trat immer wieder in mein Leben. Er hatte in Zürich in der Bolleystrasse ein Mansardenzimmer und konnte auf meinen Garten schauen. Sein Grab liegt auf dem Friedhof Manegg, dort in der Nähe bin ich aufgewachsen. Und auch im Tessin hat mir mein Vater als Kind Orte gezeigt und gesagt, hier hätte dieser Glauser gelebt.
Was genau fasziniert Sie an Glauser?
Es sind seine Settings, die Stimmungsbilder, die sehr genau sind, aber auch überhöht und ins Surreale gehen. Auch sein helvetisches Deutsch spricht mich an. Glauser hat das Auge für das Spezielle mit einer eigenen Ironie, ein Gemisch, das mir gefällt.
Wichtig für mich als Zeichner ist, dass die Szenerien in der Schweiz spielen, die Orte findet man. Ich kann sie anschauen, fotografieren, das macht meine Illustrationen dann sehr authentisch. Das war der Reiz.
Glauser war ein Dadaist und Expressionist, da ist es klar, dass die Hand eines Illustrators zuckt. Fast zwanghaft!
Ein Höhepunkt Ihrer Auseinandersetzung mit Friedrich Glauser war sicher Ihre Mitarbeit für den Film «Glauser» von Christoph Kühn. Dort verwebt der Regisseur Kühn Ihre Zeichnungen mit Fotos, Texten, fiktiven Szenen und Interviewpassagen. Wie haben Sie sich auf diese Arbeit vorbereitet?
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Für den Film habe ich alle Briefe von Glauser gelesen und so auch den drogenabhängigen, mühsamen Glauser kennengelernt. Einen Glauser, der die Leute auch instrumentalisiert hat.
Formal musste ich meine Zeichnungen erweitern, ins Querformat. Im Comic liest man die Bilder von links nach rechts. Alles ist in Panels. Im Film ist man grossflächig viel mehr im Bild drin, mittels Blenden kann man neue, sensationelle Wirkungen erzielen. Es war eine tolle Erfahrung zu sehen, wie der Kameramann Patrick Lindenmaier die Illustrationen mit der Kamera neu inszenierte. Etwa die Hälfte der Bilder habe ich für den Film ganz neu gemalt. An einem Bild arbeite ich etwa vier Tage lang.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur?
Die Zusammenarbeit mit Christof Kühn war gut. Er sagte, was er brauchte und ich hatte freie Hand in der Umsetzung. Es ist eine Interpretation von Glauser durch Christof Kühn. Es ist Kühns Art sich Friedrich Glauser zu nähern. Je besser man Glauser kennt, umso mehr Erwartungen hat man. Wer Glauser nicht kennt, der erfährt sehr viel in diesem Film, den ich nur empfehlen kann!