Am Anfang war das Kino: Rund drei Stunden soll der Comic-Künstler Katsuhiro Otomo als Kind jeweils in die nächstgrösste Stadt gefahren sein, um sich amerikanische Filme wie «Butch Cassidy and the Sundance Kid» und «Easy Rider» anzuschauen.
Ihn faszinierten die Geschichten um Menschen, die ihre Sachen zusammenpacken und sich auf in die Welt machten. «In allen Filmen ging es ums Verlassen seines Zuhauses», meinte Otomo einst, «das hat bis heute all meine Geschichten geprägt.»
Lukrativ, aber nicht komerziell
Katsuhiro Otomo wurde 1954 in der Präfektur Miyagi geboren. Nach Abschluss der Schule zog der knapp 20-Jährige nach Tokio. «Ich überlegte mir: ‹Ok, ich muss genug Geld verdienen, um essen zu können. Was könnte ich machen?›» Otomo landete beim Comic-Zeichnen, einem lukrativen Job im Tokio der frühen 1970er-Jahre.
Mangas und Anime florierten, die Szene war von einer spielerischen Freiheit geprägt – kommerzielle Interessen hatten noch keinen grossen Einfluss auf die Geschichten. «Man zeichnete Comics, um die Welt um sich herum auszudrücken», sagte Otomo in einem Interview, «nicht um zu unterhalten.»
Ausgezeichnetes «Selbstmordparadies»
Trotz dieser nichtkommerziellen Haltung schafften es Otomos Science-Fiction-Geschichten rasch auf die Manga-Bestsellerlisten. Den ersten grossen Erfolg feierte er mit «Das Selbstmordparadies». In der Manga-Serie treibt ein alter Mann in einem japanischen Wohnkomplex Mieter mit seinen übernatürlichen Kräften in tödliche Unfälle oder in den Selbstmord.
Über 50'000 Exemplare wurden verkauft und Otomo gewann den renommierten «Nihon SF Taisho Award», eine Auszeichnung für Science-Fiction-Erzählungen, die bis dahin nur an Romane vergeben wurde.
Otomos Meisterwerk
Kurz nach dem Erscheinen von «Das Selbstmordparadies» machte sich Otomo an sein Meisterwerk. 10 Jahre lang arbeitete er an der Geschichte um einen kleinen Jungen namens Akira, der mit seinen übersinnlichen Kräften ein postapokalyptisches Neo-Tokio in Atem hält.
Dabei war er stark von amerikanischen Comiczeichnern beeinflusst: Die typisch japanisch karikaturhaften Darstellungen von Personen weichten einem hyperrealistischen Stil, kleinen Augen und detaillierten Zeichnungen des Tokios der Zukunft und seinen Bauten und Maschinen.
«Akira» erschien von 1982 bis 1990 in Episoden und wurde zum Welterfolg. Zweimal gewann er den prestigeträchtigen Eisner Award, «Akira» war die erste komplett auf Deutsch veröffentlichte Manga-Serie.
Endgültig im Westen angekommen
1988 kam eine Verfilmung der Serie in die Kinos, Otomo führte selbst Regie. Der Film war als einer der ersten Anime-Filme ein weltweiter Grosserfolg – seither sind Anime und Manga auch aus der westlichen Kultur nicht mehr wegzudenken.
Es folgten diverse Manga-Verfilmungen (unter anderem der grossartige Steampunk-Anime «Steamboy») und zwei Realfilme, bei denen Otomo als Regisseur und Drehbuchautor tätig war. An den Erfolg von «Akira» konnte er aber nie mehr anknüpfen.
Raus aus der Komfortzone
Das scheint den Comiczeichner und Regisseur aber kaum zu stören. Er scheint mit Mangas ohnehin abgeschlossen zu haben. Seit einiger Zeit zeichnet er kaum noch, sein Metier sind mittlerweile Anime-Filme.
Vielleicht verhält es sich bei ihm ja ähnlich wie bei seinen Werken: Immer wieder weg von Zuhause, raus aus der Komfortzone, in die unbekannte Welt. Und die Welt dankt es ihm: 2013 wurde Katsuhiro Otomo die japanische Ehrenmedaille verliehen, die höchste Auszeichnung Japans für kulturelle Verdienste.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28. Januar 2016, 17.06 Uhr