Donnerstagabend 19.20 Uhr, Talstation der Torrent-Bahn in Leukerbad. Ein munteres Trüppchen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus aller Welt wartet brav auf die Ankunft der Gondelbahn. Wie jedes Jahr beginnt das 18. Internationale Literaturfestival Leukerbad mit einem gemeinsamen Raclette-Essen unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Restaurant Rinderhütte auf 2'350 Meter.
Schreibtischtäter auf dem Berg
Link zum Artikel
Die Fahrt hinauf wird zur Mutprobe für einige der Schreibtischtäter, die man sich an einem Tisch sitzend tatsächlich besser vorstellen kann, mit einem Glas Wasser vor der Nase, aus ihren Romanen vorlesend.
Connie Palmen, kettenrauchende Strubbelfrisur-Literatin aus Holland, schaut entsetzt die steilen Bergflanken hoch. «Wir Niederländer sind diese Berge nicht gewohnt. Ich denke immer, sie nehmen mir die Aussicht! Ich liebe das flache Land.»
Die göttlichen Berge
Die Gondel von Leukerbad zur Torrent-Bergstation überwindet 1'000 Höhenmeter in wenigen Minuten. Helon Habila, der nigerianische Autor und Journalist, ist zum ersten Mal in seinem Leben umringt von 3'000ern. «Sie sind mysteriös, magisch. Deshalb werden auf Bergen Altare errichtet, wird dort oben gebetet.»
Kaum oben angekommen beginnen die Autoren über den Berg zu philosophieren. Hartmut Lange, ein älterer Literat aus Deutschland, zieht den Vergleich mit der Antike. «Die Berge haben so was Klares, Göttliches, aber Antikes.»
Und Marie-Luise Scherer, preisgekrönte Reportage-Schreiberin verbeugt sich vor deren Schönheit.
Salman Rushdie verpasst die Aussicht
Bei Alphorn-Klängen und mit einem Glas Weisswein in der Hand geniessen die Schriftsteller die Abendsonne. Rund 30 Autoren sind in diesem Jahr zu Gast beim Literaturfestival von Leukerbad. Darunter auch berühmte Namen wie Salman Rushdie, der seit der Veröffentlichung seiner «Satanischen Verse» 1989 mit Todesdrohungen leben muss. Sein Besuch in Leukerbad ist jedoch erst für Samstag angekündigt und so verpasst er Aussicht und Raclette.
Der Berg als Sinnbild fürs Schreiben
Für Arno Camenisch («Fred und Franz»), den Shootingstar aus der Surselva, sind die Berge eine Selbstverständlichkeit. Ihre Topografie habe ihn literarisch geprägt. Überhaupt sind die Berge für ihn eine Metapher fürs Schreiben. «Vor dem Berg stehen», oder «Hoch hinauf wollen» gilt sowohl für den Berggänger wie auch für den Schriftsteller.
«Je näher man an den Berg heran kommt, umso grösser wird er. Beim Schreiben ist es ja auch so. Man hat ein Bild im Kopf. Will etwas erreichen und man kommt nie ganz an das hin, was man erreichen will. Es bleibt ein Graubereich. Es ist vermutlich auch das Scheitern, das die Kunst produziert. Man kommt nie bis ganz auf den Berg hinauf», so Camenisch.
Leukerbad, dieser Kurort umringt von steilen Felswänden, ist bis Sonntag Schauplatz schriftstellerischer Höhenflüge. Nach ihrem gemeinsamen Ausflug auf den Torrent wirkten die Autorinnen und Autoren bei der Abfahrt in der Gondelbahn gewappnet für ihre dreitägige Bergtour – und zusammengeschweisst wie eine Klasse auf Schulausflug.