In Jakarta ist beinahe jeder auf eigenen Rädern unterwegs – der Verkehrskollaps wird so zum Dauerzustand. Das liegt auch daran, dass es kaum einen städtischen öffentlichen Nahverkehr gibt. Die Ruhe und Stille, die zur Lektüre erforderlich sind, sucht man deshalb in der quirligen und durchaus anstrengenden Metropole meist vergeblich. Das Bild eines Menschen mit Zeitung oder Buch in der Hand gehört nicht zu den verbreiteten Strassenszenen.
Hören statt Lesen
Der Dichter, Übersetzer und Verleger Agus Sarjono, den man nie anders als mit Zigarette trifft, schätzt, dass sich nur fünf bis zehn Prozent der Indonesier für Bücher erwärmen. «Viele wissen einfach nicht, dass Lesen ungeheuer spannend ist», sagt er. «Ich bin mir nicht sicher, ob es ein grundsätzliches Desinteresse gibt oder ob die Menschen einfach nicht daran gewöhnt sind zu lesen.»
Einen Grund zu ernsthafter Besorgnis sieht der Berliner Übersetzer Peter Sternagel, der lange in Indonesien gelebt hat, in dem geringen Leseinteresse jedoch nicht. Er glaubt, die Indonesier ziehe es zwar nicht zum Buch, wohl aber zur Dichtung: «Ursprünglich ist die indonesische Gesellschaft keine Lesegesellschaft, sondern eine Hörgesellschaft.
Das typische literarische Werk in Indonesien ist das Wayang, das Schattenspiel. Diese Mythen, die im Volk lebendig gehalten werden, sind aber nur über das Ohr zugänglich und nicht zugleich auch als Lesestoff vorhanden.» Indonesien brauche daher einfach noch Zeit, um sich zur zu einer Lesegesellschaft zu entwickeln, sinniert Sternagel. Womöglich sei das aber gar nicht erstrebenswert.
Religiöse Bücher, simple Erfolgsgeschichten
Das wiederum sieht ein Verleger, dessen Geschäft darauf gründet, dass die Menschen zum Buch greifen, naturgemäss anders. Der Amerikaner John McGlynn kam vor bald 40 Jahren als Puppenspieler nach Indonesien, um das Wayang-Theater kennenzulernen. Doch längst hat er sich umorientiert, heute übersetzt er indonesische Literatur ins Englische und versucht mit seinem Lontar-Verlag, indonesische Autoren im eigenen Land und darüber hinaus bekannter zu machen.
Die Distanz vieler Indonesier zum Buch hat für John McGlynn ihren Ursprung in der Zeit der Suharto-Diktatur, die erst 1998 endete: «Während der Suharto-Ära war Literatur kein Pflichtfach in den Schulen. Die Leute lernten nicht, sich schreibend auszudrücken und das Lesen zu schätzen.»
Die Buchhandlungen sind vielfach ein Abbild dieser Bildungsmisere. Während in der indonesischen Provinz die Versorgung mit Büchern ohnehin eingeschränkt ist, finden sich in Grossstädten wie Jakarta zwar durchaus moderne, grosse Buchhandlungen. Aber in den Läden, die meist in schicken Shopping-Malls zu finden sind, überwiegen religiöse Bücher, Ratgeber und simple Erfolgsgeschichten. Anspruchsvolle literarische Titel nehmen nur wenig Raum ein.
Viele interessante Titel und Autoren
Die junge Autorin Okky Madasari, die jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt wurde, hat in ihrer Abschlussarbeit in Politikwissenschaften vor einiger Zeit die zunehmende Verbreitung eher seichter Werke analysiert. Die ungebrochene Entwicklung sieht sie mit Sorge: «Der derzeit populärste Roman in Indonesien handelt von einer armen Frau, die nach Singapur geht und dort Erfolg hat. Dieses Buch erzählt davon, wie man reich wird, und deswegen lesen es so viele. Jeder ernsthafte Schriftsteller ist natürlich frustriert darüber, dass vor allem solche simplen Geschichten erfolgreich sind. Aber was sollen wir tun? Wir müssen weiter schreiben und die Leute ermuntern, unsere Bücher zu lesen.»
Das Leben gerade der besten Autoren ist beschwerlich in Indonesien: Von den spärlichen Einnahmen für die meist in kleiner Auflage verkauften Bücher können viele kaum leben. Die Mehrzahl verdient mit anderen Jobs ihren Lebensunterhalt. An interessanten Titeln und Autoren mangelt es zum Glück trotzdem nicht in dem aufstrebenden, sich rasch verändernden Land. Irgendwie managen die Schriftsteller ihr Leben – und bleiben trotz allem zuversichtlich.