Das Szenario, das Michel Houellebecq in seinem neuen Roman entwirft, sprengt wohl selbst die Albträume der verwirrtesten Pegida-Anhänger, die in Deutschland auf die Strasse gehen: In Frankreich wird anno 2022 ein Muslim Präsident.
Kein Wunder, warf das Buch noch vor seiner Veröffentlichung hohe Wellen. Houellebecq gilt als «enfant terrible» des französischen Literaturbetriebs: So stiess er 2001 in seinem Buch «Plattform» mit seiner Rechtfertigung des Sextourismus in Thailand vor den Kopf.
In seinem sechsten Roman «Unterwerfung» (im Original: «Soumission») setzt der Schriftsteller nun ein aktuelles und hochsensibles Thema literarisch um: die angebliche Islamisierung des Westens.
Fiktive Geschichte, reale Protagonisten
Houellebecq (56) spielt seine Zukunftsvision mit realen Politikern durch. Das Buch spielt am Ende einer absolut katastrophalen Amtszeit von Staatschef François Hollande. Im heruntergewirtschafteten Frankreich stehen die Präsidentschaftswahlen an.
Der rechtsextreme Front National strebt nach der Macht. Um einen Sieg der FN-Chefin Marine Le Pen zu verhindern, gehen Sozialisten und Konservative einen Pakt mit der Bruderschaft der Muslime ein. Mohammed Ben Abbes wird der neue, fiktive Präsident im Elysée-Palast, sein Premier ist der (real existierende) Zentrumspolitiker Bayrou.
Der Roman schürt Ängste
Die diabolische Diagnose von «Unterwerfung» lautet also: Die Franzosen unterwerfen sich lieber einem muslimischen Regime, als dass sie Marine Le Pen wählen würden. Dazu kommt: Frankreich ist zivilisationsmüde geworden und sehnt sich nach neuen Werten
Dass in Frankreich dieses Szenario heftige Reaktionen auslösen würde, war abzusehen, so SRF-Korrespondent Charles Liebherr: «Die Vorstellung, dass Frankreich einen islamischen Präsident haben könnte, der seine Wahl mithilfe der Rechten und Linken gegen den Front National schafft, ist eine Provokation.»
Und es ist ein polemisches Gedankenspiel: Was, wenn die Religion zu einem politischen Programm wird? «In Frankreich, wo auf die Trennung von Religion und Staat sehr Wert gelegt wird, stört dieser Gedanke enorm», so Liebherr. Und er schürt Ängste.
Denn ausgerechnet den Islam sieht Houellebecq dazu berufen, den Grundsatz des Laizismus zu brechen. «Damit liefert der Autor auch noch dem Front National Argumente, der sich den Kampf gegen den Islamismus zum Programm macht. Das werfen viele Intellektuelle und Politiker in Frankreich Houellebecq vor.»
Die Grenze zwischen Religion und Politik verwischt
Gleichzeitig treffe Houellebecq aber nicht ungeschickt den Zeitgeist: Die Religion halte Einzug in den politischen Alltag, so Liebherr.
Als 2013 beispielsweise die sogenannte Homo-Ehe in Frankreich offiziell eingeführt wurde, gingen in Paris Zehntausende auf die Strasse, um gegen die Reform zu demonstrieren. Dabei spielten die christlich-konservativen Strömungen eine grosse Rolle.
Charles Liebherr: «Houellebecq analysiert da ganz richtig. Die Religion hat in der Politik wieder an Bedeutung gewonnen. Dass der Islam die Religion ist, die davon am meisten profitieren könnte, ist eine These, die er nun in seinen Roman gepackt hat.»
Sendung: SRF 4 News aktuell, 7. 1. 2014, 8:20 Uhr.