Vor dem Bauernhof tobt eine junge Frau im Brunnen und schreit immer wieder, dass ihr Vater sie missbraucht habe. «öppen einisch mues me doch e schlussschtrich zieh unger so öppis» , meint Kleinbauer Fridu. Er und seine Frau Bethli schauen der Leidenden zu wie einem exotischen Tier.
Zur Emotionslosigkeit des Ehepaars gesellen sich furztrockene Kommentare: «s bethli het grüeft löt se lo si, süsch versuuft si üs no, de hei mir de s gschänk». Fridu und Bethli bleiben pragmatisch, distanziert.
Menschliche Tragödien und billige Lebensweisheiten
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Die Szene stammt von Ernst Burren. In seinem neuen Mundartbuch «Dr Chlaueputzer trinkt nume Orangschina» erzählen neben Fridu noch fünf weitere Figuren aus dem Kleinbauernmilieu ihre Geschichten.
Ganz selbstverständlich vermischen sich in ihren Erzählungen menschliche Tragödien und billige Lebensweisheiten, Alltag und Ungeheuerlichkeiten. Als Fränzu stirbt, das geliebte Pferd ihres Mannes, erinnert sich Bethli:
«dr fränzu isch driissgi worde und dr fridu
het em z obe bevor är is bett isch
bis zletscht gäng es becki haber i d chrüpfe gläärt
ne am haus tätschlet
und em e gueti nacht gwünscht
das het är mit mir nie gmacht
wo si dr fränzu abghout hei
für ne im schlachthuus z verschiesse
isch dr fridu näbe dere vehbänne gschtange
und het gseit
am liebschte hätti dr chopf unger d reder
ohni fränzu isch mis läbe nüt meh»
Normal und doch radikal
Herzlos sind die Figuren nicht. Alle haben sie ihre Geheimnisse, Schwächen und Träume. Dennoch sind sie auf eine ganz unmittelbare, direkte Art radikal. Sie schildern in Monologen ihre Gedanken, ihr Leben, ihr Umfeld.
Dies ist aber nicht einfach der literarisch wohlbekannte Kniff des Gedankenstroms, dem wir in seiner Sprunghaftigkeit und Direktheit folgen. Denn die Gedanken von Burrens Figuren sind als Reflexionen und Schilderungen so genau ausformuliert, dass man meint, sie würden tatsächlich jemandem erzählt. Einem Therapeuten vielleicht, oder einem Biografen.
Keine heile, keine kaputte Welt
Diese direkte Rede, die nicht nur erzählt, analysiert, sondern auch bewertet, wirkt immer wieder überraschend und auch verblüffend authentisch. Kein Wunder, ist bei Burren doch praktisch nichts erfunden. Sein Vater hat einst, als sein Pferd starb, in dieser schonungslosen, brutalen Art seine Trauer ausgedrückt.
In den insgesamt 24 inneren Monologen zeichnet sich keine heile Welt ab. Da kommen Neid und Streit vor, Flüchtlinge und Bauernsterben, Patchworkfamilien und die heimliche Insemination einer Tochter, die Sterbehilfeorganisation Exit und casual dating.
Es ist trotzdem keine kaputte Welt, die uns Ernst Burren aus der Innensicht der Figuren vorführt. Er zeigt eine Welt im Umbruch, in der man sich immer wieder zwischen den Werten der guten alten Zeit und dem unbekannten Neuen wiederfindet – und eine Haltung dazu einnehmen muss.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 17. Oktober 2016, 08.20 Uhr