Eine kleine Vorbemerkung: Verzeihen Sie, meine Damen, wenn ich dieses Buch aus meiner sehr männlichen Perspektive bespreche. Ich habe es natürlich auch – das kann ja gar nicht anders sein – aus männlicher Perspektive gelesen, und dabei ganz glänzende Augen bekommen.
Männerfreundschaft – ein Abenteuer
Denn dieses Buch über Männerfreundschaft lässt einen in Déjà-vus purzeln, lässt Erinnerungen wach werden an Freundschaften, die prägend waren, die die Welt bedeuteten. An Momente von Freiheit und Aufbruch. An verrückte Zeiten, als man dachte, dieser Planet gehört uns und wartet nur darauf, erobert zu werden. An Reisen, an Autofahrten mitten in der Nacht, irgendwohin. Der Fahrtwind bläst ins Gesicht und im Kassettenrekorder jault Steppenwolf und «Born to Be Wild».
Kennen Sie das? Kann sein, dass Freundschaften zwischen Frauen ähnlich sind. Ich weiss es nicht. Tobias Rüther jedenfalls hat eine Ode geschrieben an das Phänomen «Männerfreundschaft» und programmatisch im Untertitel gleich genannt, um was es dabei geht – um ein Abenteuer.
Zweckfreiheit und Zuneigung – das ist Freundschaft
Interessant ist, was Tobias Rüther dabei auslässt. Männerfreundschaft hat für ihn nichts gemein mit strategischer Kumpanei, mit politischen Allianzen. Auch nicht mit dem Biermief von Männerbünden. Und schon gar nicht mit kumpelhaften Beziehungen aus Karrieregründen.
Für ihn ist das wesentliche Merkmal einer Männerfreundschaft die absolute Zweckfreiheit. Keine Absicht, nur das Hier und Jetzt der gemeinsamen Erfahrung definiert die Beziehung. Und – das Gefühl füreinander, die Zuneigung. Das ist Freundschaft.
Tobias Rüther hat mit vielen Männern gesprochen, hat sich Anekdoten erzählen lassen und tiefgreifende Erlebnisse. Er entwirft eine Kulturgeschichte der Männerfreundschaft, berichtet von Friedrich dem Grossen, der mit seinem Freund Hans Hermann von Katte vor seinem gewalttätigen Vater flüchtete, von der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller, von der tiefen Zuneigung der Schriftsteller Jonathan Franzen und David Foster Wallace.
Die dunkle Seite der Freundschaft
Freundschaft als Lebensentwurf, der über allem steht – über der Mühsal des Alltags, über der Kleinkariertheit bürgerlicher Verhältnisse. Freundschaft als anarchischer Ort einer zwischenmenschlichen Utopie, als autonome Republik, die den Regeln und Mustern unserer Welt nicht folgt, das beschwört Tobias Rüther in seinem Buch.
Er lässt dabei die dunklen Seiten, die Brüche und Verletzungen nicht unerwähnt. «Viele Freundschaften scheitern einfach», sagt Tobias Rüther, «wenn der eine einen grösseren Schritt macht als der andere. Wenn der soziale Status sich ändert oder eine andere Wertigkeit bekommt.» Doch das zu überwinden – die Unterschiede, die Gegensätze – das kann Freundschaft beflügeln.
Eine Nacht am Meer
Was dieses Buch besonders macht, ist die provozierende Bedingungslosigkeit, mit der Tobias Rüther dem Thema Männerfreundschaft huldigt. Und dass er den Leser – zumindest mich als Mann – auf eine Reise schickt. Man beginnt sich selbst zu befragen, erinnert sich an diese unbeschreiblichen Momente, als man mit seinem besten Freund die Nacht am Meer verbrachte, die Zukunft entwarf und seither ein Geheimnis teilt, von dem noch in 10, in 20 Jahren die Rede sein wird.
Tut mir leid, meine Damen, dass ich so unverschämt den männlichen Blickwinkel einnehme. Aber lesen Sie das Buch. Mag sein, dass es nicht nur ein Buch über Männerfreundschaft ist, sondern über Freundschaften jeglicher Art. Ich bin neugierig, wie es Ihnen beim Lesen geht.