Patricia Highsmith war ambivalent und extrem bei allem, was sie dachte, fühlte und machte. Eine schwierige Beziehung zur Mutter, ihre (versteckte) Homosexualität und das Thema der Gewalt begleiteten und belasteten sie ein Leben lang. Allerdings beobachtete sie sich selbst schonungslos – und ihre Gedanken und Erkenntnisse flossen ein in ihr Werk.
In ihren Geschichten spiegelt sich ein abgrundtief schwarzes Menschenbild. Liebe und Tod beispielsweise sind immer miteinander verbunden. Homoerotische Anziehung und gleichzeitige Abscheu stets ein verborgenes Thema. «Obsessionen sind das einzige, was zählt», notierte Patricia Highsmith. «Am meisten interessiert mich die Perversion, sie ist die Dunkelheit, die mich leitet.»
Plötzlich stehen die eigenen Werte kopf
Highsmiths gelingt es in ihren Büchern, faszinierende Figuren zu schaffen. Auch, wenn sie Verbrecher sind. Paradebeispiel dafür ist Tom Ripley, Hauptfigur des Romans «Der talentierte Mr. Ripley». Er ist ein Mörder, den man als Leserin zu mögen beginnt. Und dabei über sich selbst erschrickt.
Highsmiths Biografin Joan Schenkar schreibt in ihrem Buch «The Talented Miss Highsmith», dass die eigenen Werte nach der Lektüre eines Highsmith-Romans kopfstehen. Darin besteht eine von Highsmiths herausragenden literarischen Leistungen: ohne moralische Wertung zu schreiben.
Viel mehr als eine «Krimi-Autorin»
Ausserdem ist Highsmith mit Ripley eine archetypische amerikanische Figur aus dem 20. Jahrhundert gelungen. Dies stellt Ulrich Weber fest, Highsmiths Nachlassverwalter im Schweizerischen Literaturarchiv. Ähnlich wie «Der grosse Gatsby» von F. Scott Fitzgerald, so Ulrich Weber, sei Ripley interessiert an einem kultivierten Umgang. Er verfolge aber auch skrupellos sein «Streben nach Glückseligkeit» – eines der in der Unabhängigkeitserklärung der USA formulierten Rechte eines jeden Menschen.
Gleichzeitig bündelt Highsmith in «Ripley» alle Themen, die sie in ihrem gesamten Werk beschäftigen: Bedrohung, Verfolgung, Schuld und Verbrechen, die menschliche Identität und ihre Bedeutung. Deshalb tut man ihr unrecht, wenn man sie als «Krimi-Autorin» tituliert. Highsmith war nicht interessiert an der Auflösung eines Verbrechens, sondern an den psychologischen Aspekten, die hinter einem Verbrechen stehen.
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Die Sogkraft lässt nicht nach
Patricia Highsmith war eine komplexe, eigenwillige, befremdliche Persönlichkeit – aber, wie Joan Schenkar schreibt, gelang es ihr auf eine verblüffend einfache Weise, sich auf ihre Figuren zu konzentrieren: «[Ich stehe] vom Schreibtisch auf und versuche mir einzureden, ich sei nicht ich.»
Offenbar ist ihr das hervorragend gelungen. Auch einige Jahrzehnte nach ihrer Entstehung haben Highsmiths Geschichten immer noch eine starke Sogkraft. Denn zu den Highsmith-Figuren stellt Joan Schenkar treffend fest: «In jedem lächelnden Mundwinkel findet sich ein wenig Blut.»