«L’effacement soit ma façon de resplendir», schrieb Philippe Jaccottet 1956. Das Zurücktreten sei seine Art hervorzutreten. Das Verlöschen seine Art zu glänzen. Und er hat Wort gehalten. Nichts hasst er so sehr wie Rhetorik, aufwändige Inszenierungen und grosse Auftritte.
Sein Ideal ist die äusserste Einfachheit, die aber das Resultat intensiver Arbeit ist. Er sucht die «justesse», «le mot juste»: das treffende, angemessene, richtige und gerechte Wort. Nicht mehr, nicht weniger. Und damit ist er eine internationale Berühmtheit geworden.
Warum nur? Vielleicht weil unter seinem Blick die einfachsten Dinge seltsam zu schillern und zu glänzen beginnen, als würden sie etwas verbergen. «Ein fernes Fest, unter Blätterbögen. Weit weg, immer weiter weg.»
Das zweite Handwerk des Poeten
Philippe Jaccottet wurde 1925 im waadtländischen Moudon geboren. Von 1946 bis 1953 lebte er in Paris, wo er sein «zweites Handwerk» begann als Rezensent, Übersetzer und Herausgeber.
1953 heiratete er die Malerin Anne-Marie Haesler aus Lausanne. Die beiden zogen nach Grignan, ein kleines, an einen Felsen gebautes Dorf in der Dauphiné, am Nordrand der Provence, gekrönt von einem imposanten Schloss, in dem einst die berühmte Briefschreiberin Madame de Sévigné residierte.
Grignan als poetischer Ort
Seit über 60 Jahren lebt Jaccottet in Grignan, das er durch seine Dichtung zu einem poetischen Ort gemacht hat. Goethes Weimar, Hölderlins Tübingen und Jaccottets Grignan sind europaweit bekannt. Naturlyrik also. Und das einfache Leben! Und die Stille …
Bevor das Gähnen kommt, empfiehlt sich ein Blick in Jaccottets Werk. Zum Beispiel in die Aufzeichnungen aus den Jahren 1952 bis 2005 «Taches de soleil, ou d’ombre» («Sonnenflecken, Schattenflecken»), die dieses Jahr auf Deutsch erschienen sind.
Seine Poesie ist eine «behütete Insel»
Gleich zu Beginn seiner Aufzeichnungen charakterisiert Jaccottet sein Schreiben als «ängstliche Stimme» voller «Skrupel» und «Zögern» und Zweifel an der Berechtigung der Poesie, als Versuch «die grauenerregende Stille» zu überwinden.
Warum aber soll die Stille «grauenerregend» sein? Weil Jaccottet in der Stille den Lärm der Welt hört: Kriege, Folter, Gewalt, Verbrechen. In seiner Rede zur Verleihung des Schillerpreises schilderte Jaccottet seine Poesie als «allzu behütete Insel». Und in seinen Aufzeichnungen fragt er sich, ob all die Bilder, die er erfunden hat, nur dazu da waren, ihn vor dem Gedanken an die Brutalität der Welt zu bewahren:
«schäbige Arbeit, die Poesie
Sie verwandelt Tränen in Sterne
Statt ihre Quelle zu trocknen» («Sonnenflecken»)
Dennoch feiert Jaccottet die Schönheit der Natur, das Licht, die Landschaft, die Blumen, die Sterne. Was sucht er in der Natur? Er sagt: «Durch die Blumen, durch die Wiesen, durch die einfachsten Dinge der Welt konnte ich etwas fühlen, das sehr rätselhaft ist und doch sehr einfach zugleich. Das war meine Absicht immer, diese seltsame und tiefe Begegnung mit der Welt ausdrücken zu können.»
Die Natur als intakte Ordnung
Beitrag zum Thema
Zögernd und zweifelnd sucht Philippe Jaccottet in der Natur eine Kraft, eine Ordnung, eine Gewissheit, die gegen die kaputte Welt antreten könnte. Wenn wir sagen, die Natur sei «schön», so versucht Jaccottet näher zu bestimmen, was das heissen könnte.
Er geht dabei von einer Ergriffenheit aus, die ihm selbst rätselhaft ist, und versucht in Worten erfahrbar zu machen, was ihn denn da ergreift: Eine Hand aus einem geheimnisvollen Jenseits. Jaccottet versucht uns zu vermitteln, dass die Schönheit eine schmerzhafte Ahnung einer anderen Welt ist.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.06.2015, 07:15 Uhr.