Es ist nicht irgendwer, der ein Buch geschrieben hat, das sich gründlich mit Martin Heideggers Antisemitismus in den «Schwarzen Heften» auseinandersetzt. Sondern Peter Trawny, Gründer und Leiter des Martin-Heidegger-Instituts an der Bergischen Universität Wuppertal.
Trawny hat 1995 über Heidegger promoviert, unter anderem 2003 im Campus-Verlag eine Einführung in Heideggers Philosophie veröffentlicht und mehrere Bände der Gesamtausgabe herausgegeben. Darunter auch die kürzlich erschienene Bände 94 bis 96 mit den «Schwarzen Heften» der Jahre 1931 bis 1941. Die «Schwarzen Hefte» sind schwarze Wachstuchhefte, in die Heidegger von 1931 bis Anfang der 1970er-Jahre seine philosophischen Aufzeichnungen schrieb.
Ein spezifischer Antisemitismus
Niemand könnte also behaupten, dass Trawny gegenüber Heideggers Werk grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Und nun das: Bei der editorischen Arbeit an den «Schwarzen Heften» stiess Trawny auf mehrere Textstellen, die ihn in seinem Buch «Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung» zum Schluss kommen liessen: «Mit dem Bekanntwerden der ‹Schwarzen Hefte› [ist] das Vorhandensein eines spezifischen Antisemitismus – der sogar in einer Zeit aufkommt, in der sich der Denker mit dem real existierenden Nationalsozialismus sehr kritisch auseinandersetzt – nicht zu übersehen.»
Denn Heidegger bedient sich antisemitischer Klischees und «transformiert sie» in philosophische Überlegungen, sagt Peter Trawny. Die Juden seien «weltlos», «wurzellos», ihr Denken sei ausschliesslich «rechenhaft», das «Weltjudentum» gehöre wie der Nationalsozialismus und der Bolschewismus zu den «planetarischen Hauptverbrechern», und die Juden lebten «am längsten schon nach dem Rasseprinzip», schreibt Heidegger in seinem schwer verständlichen, dunklen Stil, dessen Verständnis stets intensiver Auseinandersetzung bedarf.
Antisemitismus wird Philosophie
Weil Heidegger solche antisemitische Äusserungen in seine Philosophie einfliessen lässt, spricht Peter Trawny von «seinsgeschichtlichem Antisemitismus». Darüber müsse man nun diskutieren. Der Heidegger-Forscher sagt, dass er die Interpretation in seinem Buch «zunächst einmal als einen Vorschlag verstanden wissen» will.
Muss man Heideggers Werk nun grundsätzlich neu bewerten? Trawny verneint: «Ein Werk wie ‹Sein und Zeit› von 1927, das ja als eines der Hauptwerke der Philosophie des 20. Jahrhunderts gilt, wird von diesem Problem unangetastet bleiben.» Er sagt aber auch, «dass das Werk der 30er- und 40er-Jahre noch einmal neu diskutiert und kritisch beurteilt werden muss. Da könnte es durchaus den einen oder anderen Gedanken geben, den wir nicht mehr wirklich fruchtbar aufnehmen können und von dem wir uns trennen müssen.»
Gedanken immer wieder prüfen
Heidegger sei ihm nicht verleidet: «Für mich bedeutet das, dass ich bestimmte Teile dieses Werks vor diesem Hintergrund noch einmal durchdenken muss. Dass ich also vor einer neuen Diskussion stehe, auch in meinem Verständnis selbst zu Heidegger.» Das betrübe ihn nicht, «denn die philosophische Arbeit besteht ja auch darin, immer wieder die Gedanken zu prüfen, die man vor sich hat.»
Ein bisschen verleidet sei ihm aber die Atmosphäre, in der Heideggers Antisemitismus in den letzten Monaten diskutiert wurde. Seitens französischer, aber auch deutscher Heidegger-Verteidiger war er heftigen Anfeindungen ausgesetzt, was ihn überrascht hat. Peter Trawny spricht von «Denkverboten», die die Diskussion über die «Schwarzen Hefte» und über Martin Heideggers Antisemitismus behindern. «Wir müssen frei alle Interpretationsmöglichkeiten durchgehen. Nur dann können wir produktiv mit Heidegger fortfahren.»