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Rudolf Rössler.
Legende: Rudolf Roessler vor dem Krieg – noch unbeschwert. zvg

Literatur Rudolf Roessler spionierte für den Frieden

Nach dem Zweiten Krieg wehrte sich Rudolf Roessler gegen die Bezeichnung «Meisterspion». Die Weitergabe geheimer Informationen von der Wehrmachtsspitze an die Schweiz und die Alliierten verstand er als Akt des Widerstands. Seine Verdienste wurden anerkannt, aber er mied zeitlebens das Rampenlicht.

Als Rudolf Roessler 1953 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges noch einmal vor Gericht gestellt wurde, wehrte er sich gegen die Fotografen – auf deren Bilder erweckte er den Eindruck grosser Verbitterung. Die heiteren, privaten Bilder des Luzerner Freundeskreises aus der Vorkriegszeit stehen dazu in starkem Kontrast.

Rudolf Roessler stammte ursprünglich aus Augsburg. Er war ein leidenschaftlicher junger Kulturjournalist und wurde Theaterverleger in Berlin. Als die Nazis die Macht an sich rissen, widersetzte er sich der Gleichschaltung des von ihm geleiteten Bühnenvolksbunds und geriet in Gefahr. Der junge Luzerner Xaver Schnieper, damals Student in Deutschland, verhalf ihm 1934 zur Flucht aus dem Reich.

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Peter Kamber ist Historiker und Buchautor. 2010 erschien sein erster Roman « Geheime Agentin » (BasisDruck Verlag, Berlin) über die Schweiz als Drehscheibe des Geheimdienstkriegs zwischen den Alliierten und dem NS-Staat. Ein neues Romanmanuskript über die Fundamentalismen während der Zürcher Reformation hat er soeben fertiggestellt.

«Büro Hausamann»

1939 brachte Xaver Schnieper den inzwischen vom Regime ausgebürgerten Deutschen Roessler auch zum Büro «Ha» des schweizerischen militärischen Nachrichtendienstes. Dieses legendäre Büro unterstand Hans Hausamann. Allerdings schaltete Roessler aus Vorsichtsgründen einen exilierten österreichischen Verbindungsmann namens Franz Wallner dazwischen. Wallner hatte bereits in Österreich für Hausamann gearbeitet und lebte in Luzern mit Xaver Schnieper und dessen Frau Annemarie in einem eifersuchtslosen ménage à trois.

Roesslers hochsensible militärische Informationen konnten – rückblickend betrachtet – nur aus einer Quelle stammen: von der Berliner Verschwörergruppe, die sich schon 1938 im Schutze des deutschen militärischen Geheimdienstes «Ausland/Abwehr» gebildet hatte. Die Gruppe bereitete den Staatstreich vor, der dann 1944, von Stauffenberg durchgeführt, bekanntlich nicht gelang.

Geheimhaltung der Quellen oberste Priorität

Roessler war zwar in Luzern als Leiter des «Vita Nova»-Verlags nicht unbekannt, weil er ernsthafte Bücher zu Zeitfragen veröffentlichte. Dennoch durfte Hausamann selbst nicht wissen, dass Rudolf Roessler der Meldekopf für das Material aus Berlin war – denn das Büro «Ha» hatte im schweizerischen Generalstab etliche Feinde. Das hinderte Hausamann nicht, die Berichte Roesslers über einen tschechischen Geheimdienstoffizier auch die alliierten Geheimdienste in der Schweiz weiterzuleiten!

Wie wichtig die sorgfältige Absicherung von Roesslers Nachrichtenlinie war, zeigte sich, als 1942 in Bern ein deutscher Spionagering aufflog, dem auch ein verbitterter junger Schweizer angehörte. Der hatte als Bürodiener des US-Militärattachés Karbonblätter und Papiere aus dem Abfall erbeutet. Daraus erhielt Berlin den Beweis, dass laufend Geheimmaterial aus Berlin über die Schweiz zu den Alliierten floss. Roessler blieb vorläufig unentdeckt, aber die SS suchte von da an gezielt nach dem Leck in Berlin.

«Die Roten Drei»

Von da an gingen die Westalliierten auf Distanz zum Schweizerischen Nachrichtendienst. Roessler dürfte sich klar geworden sein, dass nur noch die Möglichkeit blieb, die Nachrichten an eine Gruppe des sowjetischen Militärgeheimdienstes in Genf zu leiten. Das schien umso dringlicher, als die Ostfront zum Hauptkriegsschauplatz geworden war. Der Chef dieser Genfer Gruppe, Alexander Rado, liess Roesslers Geheimmaterial von da an – gerade noch rechtzeitig vor der Schlacht um Stalingrad – über drei Funkgeräte nach Moskau morsen: zwei Sender waren in Genf und einer in Lausanne.

Die lange gesperrte CIA-Zeitschrift «Studies in Intelligence» veröffentlichte 1969 und 1972 zwei Artikel über die geheimen Quellen Roesslers. Eine zunächst ebenfalls unzugängliche CIA-Buchpublikation 1979 über die «Rote Kapelle» identifizierte fast gleichlautend einen Mann des Deutschen Widerstands namens Hans Bernd Gisevius als einen von vier möglichen Hauptinformanten von Rudolf Roessler. Roessler habe kurz vor seinem Tod einem Freund, dem er vertraute, die Namen genannt.

Gisevius war seit 1940 als Vizekonsul im Deutschen Generalkonsulat in Zürich als Zivilist für Fragen des deutschen Militärgeheimdienstes zuständig, hatte aber von Berliner Verschwörergruppe den heimlichen Auftrag erhalten, die seit 1939 abgerissenen Kontakte zu den Alliierten wieder anzuknüpfen.

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