Sarah Kirsch, eine der bedeutendsten deutschen Lyrikerinnen der Gegenwart, ist tot. Die Schriftstellerin starb bereits am 5. Mai im Alter von 78 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit in Schleswig-Holstein. Das teilte die Deutsche Verlags-Anstalt in München mit.
«Mit dem Tod Sarah Kirschs verlieren wir, verliert die deutschsprachige Literatur eine ihrer wichtigsten, eigenwilligsten und poetisch kraftvollsten Stimmen», sagte Verlagsleiter Thomas Rathnow.
Von Ost- nach West-Berlin
Geboren wurde Sarah Kirsch am 16. April 1935 als Ingrid Hella Irmelinde Bernstein. 1960 nannte sie sich aus Protest gegen die Massenvernichtung der Juden in der Nazi-Zeit Sarah. Im gleichen Jahr heiratete sie den Lyriker Rainer Kirch und publizierte 1965 mit ihm gemeinsam den ersten Gedichtband «Gespräche mit dem Saurier». Die Ehe hielt nur bis 1968. Vater ihres 1969 geborenen Sohnes Moritz war der Schriftsteller Karl Mickel.
Als sie sich 1976 den Protesten gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann anschloss, wuchs der staatliche Druck und Kirsch siedelte 1977 von Ost- nach West-Berlin über. Im Jahr 1983 zog sie in ein altes Schulhaus hinterm Deich in Tielenhemme in Dithmarschen (Schleswig-Holstein). Dort lebte sie bis zu ihrem Tode sehr zurückgezogen als freie Schriftstellerin und Malerin.
Grosse Gefühle und mächtige Leidenschaft
Interviews gab sie nur selten: «Die Leute sollen meine Gedichte gern haben und mich möglichst in Ruhe lassen», sagte sie 1996 den «Stuttgarter Nachrichten». Die Themen Liebe, Trennung und Einsamkeit bestimmten ihr Werk. «Meine Grundhaltung ist wohl doch die Melancholie», erklärte Kirsch einmal über sich selbst.
Bedeutendste Lyrikerin der Gegenwart
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki pries einst ihre «Lyrik der grossen Gefühle und der mächtigen Leidenschaften». Er nannte sie der «Droste jüngere Schwester»: Sarah Kirsch galt mit ihren rätselhaft einfachen Naturgedichten seit längerem als Klassikerin, als bedeutendste Lyrikerin der deutschen Gegenwartsliteratur.
Ihre Naturgedichte waren alles andere als naive Landschaftslyrik. Sie schilderten Seelenzustände, waren voller hintergründiger Finesse und politischer Anspielungen. Auf Grammatik und Zeichensetzung pfiff Kirsch und bot Spott und Trotz im Schnodderton.
Für ihr dichterisches Werk wurde Kirsch, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Georg-Büchner-Preis, dem Jean-Paul-Preis, dem Peter-Huchel-Preis sowie dem Johann-Heinrich-Voss-Preis.
Zu Kirschs Veröffentlichungen zählten der erfolgreiche Lyrik-Band «Katzenleben», die von ihr selbst als «Chronik» bezeichnete Prosa «Allerlei-Rauh» (1988) und der von ihr selbst bebilderte Band «Spreu» (1991). Noch im vergangenen Jahr erschien «Märzveilchen».