Mit Ende 20 beschloss die studierte Ökonomin, sich zu verändern und Schriftstellerin zu werden. Das Umfeld in ihrer Heimatstadt Basel war ihr zu eng. Gabrielle Alioth wollte Neuland betreten – im wörtlichen Sinn, und wanderte nach Irland aus.
Sie ist zwar nicht Irin geworden in den drei Jahrzehnten, in denen sie auf der grünen Insel lebt. Sie ist jedoch auch nicht mehr die Schweizerin, die sie einst war. In Irland hat sie neue Seiten an sich entdeckt, denn «in einer anderen Sprache ist man jemand anderer, man spricht anders, bewegt sich anders und denkt anders.»
Diese Erfahrung wirke befreiend und bereichernd zugleich. Gabrielle Alioth fühlt sich wohl mit ihren zwei Identitäten, sie sieht es als Privileg, in zwei Welten zu leben, besonders für sie als Schriftstellerin. Sie erlebt eine Art Narrenfreiheit, die es ihr erlaubt, die Person zu sein, die sie gern sein möchte: «Nur dort, wo wir keine Vergangenheit haben, lässt sich die Gegenwart neu erfinden.»
Wirtschaftsflüchtlinge und Glücksritter
Im Buch «Ausgewandert» versammelt Gabrielle Alioth nun Schweizer Auswandererschicksale aus sieben Jahrhunderten. So unterschiedlich diese Geschichten sind, so haben sie dennoch Gemeinsamkeiten. Noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts war die Schweiz ein regelrechtes Auswandererland. Söldner, Bauern, Käser, Zuckerbäcker: Abertausende waren zur Emigration gezwungen, weil sie daheim keine Arbeit und kein genügendes Auskommen fanden. Wirtschaftsflüchtlinge würde man sie heute nennen.
Wieder andere emigrierten, weil sie ihre Fähigkeiten im Ausland besser nutzen konnten, zum Beispiel viele Tessiner Architekten im 15. und 16. Jahrhundert, oder der Künstler Heinrich Füssli, der im 18. Jahrhundert in London Geschichte schrieb als innovativer Maler abgründiger Traumwelten.
Seinen Leidenschaften folgen
Für die jüngere Geschichte erkennt Gabrielle Alioth mehr und mehr individuelle Motive für die Emigration: Leidenschaften, ja Obsessionen prägen diese Auswandererschicksale. Wie zum Beispiel bei der Zürcher Ärztin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, die schon als zwölfjähriges Mädchen die Welt retten wollte und später den ganzen Globus bereiste, um den Menschen das Sterben zu erleichtern.
Oder beim gelernten Velomechaniker Louis Chevrolet, dessen Autobegeisterung ihn in die USA zog, wo er als Rennfahrer triumphierte, aber als Konstrukteur und Geschäftsmann scheiterte. Auch Grock, der Clown war getrieben von seiner artistischen Leidenschaft. Er verliess die Heimat mangels Anerkennung und zog dorthin, wo er ein begeistertes Publikum finden konnte, ganz gleich in welchem Land.
Die Suche nach dem Paradies
Wieder andere Geschichten leben zu einem guten Teil vom Zufall: etwa diejenige von Ursula Andress. Sie hatte die Schweiz nur deshalb verlassen, weil sie sich als 17-Jährige in einen Schauspieler verliebte und diesem nach Paris und dann in die ganze Welt folgte, bevor sie schliesslich in Hollywood landete und mit der Rolle des Bondgirls in «Dr. No» unverhofft zum internationalen Filmstar avancierte.
Ihre eigene Geschichte verortet Gabrielle Alioth in der Kategorie «Die Suche nach dem Paradies»: Sie verliebte sich schon bei der Ankunft in die irische Landschaft und in die kernige Mentalität der Iren. Sie wusste bereits nach wenigen Monaten, dass sie auf der grünen Insel ihr neues Zuhause, ihr Paradies gefunden hatte. An dieser Gewissheit hat sich bis heute nichts geändert.