Bereits nach den Harry-Potter-Erfolgen hat Rowling immer betont, dass sie einmal ohne Hype und ohne die scharfen Augen der Kritiker schreiben wolle. Das hat sie gemacht – aber lange hat es nicht gedauert, bis ihr Geheimnis aufgedeckt wurde.
Schon bald, nachdem «Der Ruf des Kuckucks» im Frühling 2013 in England erschienen war, hat ein Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei, die mit Rowling zusammenarbeitet, ihr Geheimnis ausgeplaudert.
Mehr als ein Krimi
«Der Ruf des Kuckucks» ist die Geschichte eines Kriegsveteranen, der jetzt als Privatdetektiv arbeitet. Strike heisst er und bekommt von einem reichen Anwalt den Auftrag, den angeblichen Selbstmord von dessen Schwester aufzuklären. Er soll beweisen, dass es Mord war. Die Schwester war ein bekanntes Supermodel – deshalb interessiert sich auch die Öffentlichkeit sehr für diesen Fall.
Auf rund 600 Seiten begleitet man Strike also bei seinen Ermittlungen, aber eigentlich ist «Der Ruf des Kuckucks» viel mehr als ein Krimi. Rowling zeichnet gleichzeitig auch ein Porträt von London und von unterschiedlichen Bevölkerungsschichten: Strikes Ermittlungen führen ihn in die Welt der Schönen und Reichen genauso wie in diejenige der weniger Privilegierten.
Harry Potter lässt grüssen
«Der Ruf des Kuckucks» trägt Rowlings Handschrift. Schon Grösse und Gewicht des Buchs erinnern an Harry Potter: Mit über 600 Seiten ist auch dieses Buch ein ziemlicher Schinken. Auch Rowlings Erfahrung mit den Harry-Potter-Verfilmungen schimmert durch. «Der Ruf des Kuckucks» ist fast wie ein Drehbuch geschrieben. Die Figuren und wie sie sich verhalten, werden sehr präzis beschrieben, ebenso die Schauplätze – und die Geschichte wird sehr zügig und direkt erzählt.
Rowling ist auch in diesem Buch ihrem Schreibstil treu geblieben. Sie schreibt klar, schörkellos, gleichzeitig qualifiziert sie auch, fast alles wird mit einem Adjektiv oder einer anderen Präzisierung begleitet.
Spannend – und altmodisch
«Der Ruf des Kuckucks» ist spannend geschrieben. Nicht so, dass es einem beim Lesen kalt den Rücken runterläuft, man sich gruselt oder ekelt. Nein, allerdings versucht man beim Lesen unwillkürlich, das Puzzle ungeklärter Fragen zusammenzusetzen.
Und mit der Hauptfigur, mit dem Kriegsveteranen und Privatedetektiv Strike, ist Rowling eine interessante, vielschichtige Figur gelungen. Auf den ersten rund 100 Seiten erfährt man fast mehr über ihn als über seinen Fall.
Weniger durch seine Charaktereigenschaften als mit seinen zum Teil altmodischen Ermittlungsmethoden, die wesentlich auf Beobachtungsgabe und Scharfsinn gründen, erinnert Strike an Agatha Christies Detektive Hercule Poirot oder Miss Marple.
Fortsetzung geplant
Tatsächlich hat auch Rowling eine Serie mit Privatdetektiv Strike geplant – bereits im Sommer soll Band zwei erscheinen. Trotzdem bleiben ein paar Fragezeichen.
Die Ära der Privatdetektive ist eigentlich vorbei. Die wirklich erfolgreichen Geschichten und Krimi-Bestseller ranken sich heute vor allem um Fahnder, Kommissare oder Ermittlerinnen von Sonderdezernaten.
Man fragt sich also, ob ein Privatdetektiv, der auf altmodische Weise ermittelt, bei dieser Konkurrenz langfristig bestehen kann. Und eine weitere Frage bleibt offen: Ob Joanne K. Rowling ihr Pseudonym Robert Galbraith weiterhin verwenden will – jetzt, da alle Welt ja weiss, wer dahinter steckt.