Im deutschsprachigen Raum kennt man Philip Kerr vor allem für seine Bernie-Gunther-Reihe, angesiedelt im Berlin der Nazizeit. Der Spezialist für historische Krimis hatte nun Lust auf etwas Neues und widmet sich für einmal einem aktuellen Thema: «Ich wollte über etwas Zeitgenössisches schreiben. Und nichts erscheint mir zeitgenössischer als der Fussball.»
Erfundener Retortenclub
Da könnte leicht der Vorwurf aufkommen, er wolle von der Popularität des Spiels profitieren und mit seiner Krimireihe einfach absahnen. Philip Kerr: «Wenn man sich wirklich dafür interessiert, so wie ich, wieso dann nicht?» Er ist ein Fan des Londoner Clubs Arsenal und regelmässiger Besucher im Stadion.
Für seinen Krimi «Wintertransfer» erfand er jedoch einen Retortenclub namens London City, den ein ukrainischer Oligarch mit viel Geld in die Premier League bringt. Ein fiktiver Verein deshalb, um keine Fans eines anderen Clubs auszugrenzen: «Der Krimi sollte in Bezug auf die Fans so neutral wie möglich sein. Ausserdem kann ich so über finanzielle Aspekte mit mehr Freiheit schreiben, als wenn ich einen realen Club gewählt hätte.»
Ein toter Mourinho …
Die Handlung: Der portugiesische Cheftrainer von London City wird ermordet beim Stadion aufgefunden. Als charismatischer und arroganter Provokateur erinnert er unweigerlich an José Mourinho. Tatsächlich bewundert Kerr den umstrittenen Chelsea-Trainer: «Mourinho ist fantastisch für den Fussball in England. Er ist ein Fussball-Philosoph. Viele seiner Äusserungen offenbaren grossartige Gedanken über den Fussball und das Leben.»
… und sein schwarzer Nachfolger
Damit die Polizei möglichst wenig im Verein herumschnüffelt, soll der Mord am Cheftrainer von dessen Assistent und Nachfolger Scott Manson aufgeklärt werden. Manson, der Ich-Erzähler des Krimis, ist in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich: Er ist von Haus aus wohlhabend, hat studiert und ist mehrsprachig; er war aber auch einige Jahre (zu Unrecht) im Gefängnis und ist obendrein schwarz. «Da war wohl ein wenig Wunschdenken im Spiel. Ich warte sehnlichst auf den Tag, an dem es einen schwarzen Cheftrainer in der Premier League gibt», sagt Kerr.
Beissende Kritik
Der Handlung von «Wintertransfer» mangelt es zuweilen an Glaubwürdigkeit. Die grosse Stärke des Buchs ist aber seine herzhafte Kritik. Alle bekommen ihr Fett ab: das Millionenbusiness Premier League, die überbezahlten und tumben Kicker, die unfähige und korrupte FIFA, die Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar oder auch die bösartigen, homophoben Fans.
Kerr drückt es so aus: «Ein sanftes, freundliches und fröhliches Buch über den modernen Fussball hätte keinen Sinn ergeben, denn so reden die Leute nicht darüber. Das Spiel hat eine dunkle Seite, und es wäre Wahnsinn, diese nicht zu thematisieren.»
Oft sind die Kommentare geprägt von typisch britischem Zynismus, so dass man laut herauslachen muss. Die Liebe des Autors zu diesem Sport schimmert aber stets durch. Bereits hat Kerr zwei weitere Krimis über Scott Manson geschrieben.