Kurz nachdem Hitlers Truppen Frankreich im Juni 1940 besetzt hatten, entschied das «Emergency Rescue Commitee» in New York, verfolgte Künstler und Intellektuelle aus der Gefahrenzone herauszuholen. Sie schickten den hochgebildeten jungen Journalisten Varian Fry über den Ozean, um diese Mission im Marseille zu erfüllen, und drückten ihm eine Namensliste mit rund 200 Namen in die Hand.
So begann für Varian Fry ein Abenteuer, das er völlig unterschätzt hatte: In Marseille war Ausnahmezustand. Hunderte von Verfolgten bettelten um Hilfe. Geld und Lebensmittel waren knapp. Es wimmelte von Spitzeln, und selbst auf die eigenen Leute aus den USA war kein Verlass. Kam hinzu, dass sich die Suche nach den Persönlichkeiten auf seiner Liste zum Teil als äusserst schwierig herausstellte.
Über die grüne Grenze
Eveline Hasler schildert in ihrem Roman eindringlich, wie der wortkarge Mann in dieser brandgefährlichen Atmosphäre über sich hinauswächst, mit Passfälschern und Fluchthelfern verhandelt und stets neue Strategien für seine Mission aushecken muss. Die meisten Verfolgten schmuggelt er unter dramatischen Umständen über die grüne Grenze nach Spanien oder Portugal, von wo sie mit dem Schiff in Sicherheit gelangen.
Prominente Flüchtlinge
Viele Prominente verdanken Varian Fry und seinem Team ihr Ueberleben: Heinrich Mann, Golo Mann, Franz Werfel, Alma Werfel-Mahler, Hanna Arendt, Marc Chagall, Max Ernst, André Breton, Lion Feuchtwanger und Walter Mehring.
Eveline Hasler greift einzelne Persönlichkeiten heraus, schildert deren Situation, schlüpft regelrecht in ihre Köpfe und lässt damit ihr Publikum unmittelbar am Geschehen teilnehmen. Wir zittern beim Lesen mit, wenn der betagte Heinrich Mann die anstrengende Strecke über die Pyrenäen fast nicht schafft oder dem beleibten Franz Werfel auf diesem langen Fuss-Marsch die Lunge zu streiken droht.
Der Blickwinkel von Kindern
Aber auch die Schilderung von unbekannten Schicksalen gehen ans Herz: Zum Beispiel die Geschichte des jüdischen Teenagers Justus Rosenberg, der sich mit einem Freund von Danzig nach Südfrankreich durchschlägt und in Marseille als Laufbursche von Varian Fry tätig sein kann. Schon immer war es eine Qualität von Eveline Hasler, die Optik von Kindern differenziert in ihren Büchern einzubringen: Hier gibt die Perspektive des emsigen und hilfsbereiten Justus dem Roman auch eine gewisse Unbeschwertheit.
Wenig Dank und Respekt
Das Buch «Mit dem letzten Schiff» beleuchtet ein dunkles Kapitel der Geschichte. Und doch ist es geprägt von Hoffnung und Zuversicht: Immerhin konnten rund 2'000 Menschen gerettet werden.
Für Varian Fry selber geht die Geschichte allerdings traurig aus: Er wird wenig Dank und Respekt für sein Engagement ernten, gerät bald in Vergessenheit und stirbt 1967 überraschend im Alter von erst 59 Jahren. Man sagt «an gebrochenem Herzen».