Um Politik geht es wieder in diesen Texten, aber doch nur am Rande. Noch einmal wird von der rhetorischen Kanzel gesprochen. Von Banken und Rettungsschirmen ist die Rede, vom «Zappeln im Netz» der Daten, von Griechenland und Afghanistan. Noch einmal spricht der Nobelpreisträger, die öffentliche Instanz Günter Grass. Seiner Meinungen und Haltungen gewiss, nie zweifelnd an dem, was er für richtig hält.
So kommt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ins Visier. Unter dem schalen Titel «Mutti» steht sie in der Kritik. «Mehltau» liege über dem Land unter ihrem Regime, «besorgt» sei sie nur, «um Ruhe und bewachten Schlaf». Das ist wenig überraschend, weder im Urteil noch im Vokabular.
«Wie lange noch?»
Aber, es sind nur politische Reminiszenzen, gepflegte Routine. Der hier schreibt, fühlt sich nicht mehr zuerst als Institution. Grass, der Kanzlist seiner selbst tritt zurück. Im Zentrum dieses letzten Buches steht etwas anderes. Günter Grass spricht von sich selbst. Er spricht von seinem körperlichen Zerfall, von der Vergänglichkeit, vom Ende. «Wie lange noch?» und «Warum überhaupt?», fragt er schon zu Beginn. Das gibt den Ton vor und die Gedankenführung, die dieses Abschiedsbuch bestimmen.
Auch viele Bleistift-Zeichnungen zeigen Vergängliches: modriges Laub, krumme Nägel, Pilze, tote Frösche und Vögel. Endlichkeit ist überall, und sie wird bisweilen grell beleuchtet. Krankheiten, Medikamente, nachlassende Libido – Grass spricht deutlich davon, aber auch mit Ironie. Er hat Abstand zu sich selbst, zu all den Malaisen des Alters, die nicht länger zu ignorieren sind. «Einzahn, Letztzahn», heisst es leichthändig, selbstironisch über seinen dentalen Zustand. Das ist neu und auch anrührend bei einem, der schon lange und noch zuletzt als Handelsreisender der eigenen Bedeutung unterwegs war.
Beiträge zu Günter Grass
Korrekturen am Selbstbild
Jetzt erzählt er freundlich, wehmütig auch von den Kollegen, von Rühmkorf und Enzensberger, von Rabelais und Jean Paul – und von einer überraschenden nächtlichen Begegnung mit dem Mythenforscher Claude Levy-Strauss. Günter Grass über sich und andere, das lohnt zu lesen. Keine grosse Literatur, aber dafür ein paar interessante Korrekturen am Bild des Autors.
Distanz und ungewohnter Humor können groteske Züge annehmen. Im längsten Text des Bandes ist der Tischler zu Besuch. Särge werden bestellt. «Kiefer für meine Frau, Birke für mich», schreibt Grass. Es kommt zum Probeliegen im Keller. «Seitdem warten die Kisten.»
Noch einmal eine Fabel. Noch einmal eine Probe aufs Ende. Letzte Worte.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 10.9.2015, 8:20 Uhr