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Literatur Wie ein explodierter Wal zum Schicksal wird

Vielleicht liegt es am Namen: Wieder mal weiss man nicht, wie man den neuen Steinfest beschreiben soll. So viel passiert in diesem Buch. So viel steckt drin. Doch trotz aller Komplexität: Der Kern von «Der Allesforscher» ist klar und einfach. Und das macht dieses Buch so wertvoll.

Es ist mal wieder ein typischer Steinfest: Verrückt, fantastisch und extrem. Und kaum zu beschreiben, wenn man nicht wie Steinfest selber 400 Seiten zur Verfügung hat.

Da ist zum Beispiel dieser Wal, der mitten in der Stadt Taiwan explodiert und dessen Inneres dem Ich-Erzähler Sixten Braun so verheerend um die Ohren fliegt, dass diesem Hören und Sehen vergeht. Da ist die deutsche Ärztin Lana, die diesen Sixten Braun wieder zusammenflickt und sich als Liebe seines Lebens entpuppt, obwohl sie sich beim Sex nie ganz auszieht. Da ist dieser steinreiche Rentner, den Sixten Braun anlässlich eines Flugzeugabsturzes ins südchinesische Meer kennenlernt und den er möglicherweise beim Gerangel um eine Schwimmweste umbringt. Und da ist dieses Kind der mittlerweile verstorbenen Lana, das plötzlich bei Sixten in Stuttgart auftaucht. Der Junge mit den Schlitzaugen und der Geheimsprache, der so gut klettern und malen kann, und von dem es heisst, er sei Sixtens Sohn.

Alles ist in sich logisch

Aber ganz egal, wie komplex der neue Steinfest mal wieder ist, verwirrend ist er nicht. Man kauft ihm das alles ab. Und warum sollte man auch nicht? Denn in sich ist das alles logisch. Ein Wal zum Beispiel explodiert dann, wenn sich in seinem Innern Gärgase bilden. Und ist der Wal im Moment seiner Explosion schon tot und liegt auf einem Laster mitten in einer Stadt – beispielsweise auf dem Weg vom Strand in ein Forschungszentrum – dann kann es schon sein, dass es dort, wo sich die Explosion ereignet, vorübergehend aussieht wie im Atelier eines Aktionskünstlers. In Taiwan ist das tatsächlich mal passiert. Im Januar 2004. Das konnte man damals auch in der Zeitung lesen. Heinrich Steinfest hat das getan und prompt seine Geschichte daraus entwickelt.

Buchhinweis

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Heinrich Steinfest: «Der Allesforscher». Piper, 2014.

Oder seine Geschichten. Wie die von Sixten, der nach und wegen der taiwanesischen Walexplosion seinen Beruf als Manager aufgegeben hat, um Bademeister zu werden und der dank seiner Begegnung mit Lanas Kind so etwas wie ein Mensch wird. Oder die von Lana, die sich beim Sex darum nicht ganz auszieht, weil sie ihre Brust genau diesem künftigen Kind vorbehalten will. Und die des Kindes selber, das darum so andersartig ist, dass der Vater etwas zum Annehmen hat.

Je verrückter, desto besser

Und das ist der Kern der Sache: es geht ums Annehmen. Es geht darum, dass der Held das annimmt, was ihm widerfährt. Sein Schicksal, seine Bestimmung, sein was auch immer. Und dazu braucht Steinfest die Geschichten. Je verrückter sie sind, desto besser. Denn Steinfest schreibt ja keine Lebensberater. Er schreibt auch keine Sachbücher und schon gar keine esoterische Literatur. Dafür ist er viel zu gut und zu humorvoll. Nein, Steinfest schreibt Romane, die irgendwo anzusiedeln sind zwischen Fantasy, Krimi und buddhistischer Parabel. Verrückt, fantastisch und extrem. Aber auch mit Tiefgang.

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