Können sie sich noch erinnern, wann Sie Ihr erstes Gedicht geschrieben haben?
John Burnside: Das ist sehr lange her, aber ich kann mich noch genau erinnern. Ich kam von einem Spaziergag zurück und hatte ein Gedicht im Kopf. Ich schrieb es auf und dachte: nicht schlecht, aber noch nicht gut genug. Da fehlte noch etwas.
Doch es war das erste Mal, dass ich etwas aufgeschrieben hatte. Es war für mich ein Zeichen, dass ich auf der richtigen Spur war. Ich spürte, dass es echt war. Es war ein erster Schritt in einem langen Prozess.
Und wovon handelt das Gedicht?
(lacht) Von Schnee natürlich. Es handelte vom Spazieren im Schnee. Ich habe übrigens kürzlich jemanden getroffen, der eine Doktorarbeit über die Bilder von Schnee in meinem Schreiben verfasst. (lacht)
Am Ende dieses Buches steht, alle Ihre Gedichte seien auf eine Art eine Suche nach dem Zuhause. Können Sie das erklären?
Ich bin beeinflusst von Heidegger, für den das Zuhause mehr ist als ein Ort. Zuhause ist, wie wir Menschen mit unserer Umwelt agieren. Das Gebäude ist nur eine Hülle. Zuhause aber meint, wie Menschen auf sinnvolle Art mit der Umwelt in Beziehung stehen.
Doch gerade in der heutigen Zeit ist dieser Begriff von Zuhause etwas, das schwer zu definieren ist. Es ist nicht unmöglich, aber schwer zu fassen.
Über die Liebe kann ich in einem Gedicht besser schreiben.
Sie schreiben sowohl Prosa als auch Gedichte. Gibt es etwas, das Sie in Gedichten besser ausdrücken können als in Prosa?
Ich denke, über die Liebe kann ich in einem Gedicht besser schreiben. Auch über das Staunen. Also über alle Gefühle, die einen sprachlos machen vor Staunen. Dinge, die emotional berühren.
Natur kann dieses Gefühl auslösen, auch ein geliebter Mensch, ein Kind. Diese Gefühle zu beschreiben geht auf jeden Fall einfacher in der Poesie.
Die Natur hat einen wichtigen Stellenwert in ihren Gedichten. Warum?
Weil sie echt ist. Menschen machen zwar vieles, das nahe an das Natürliche heran reicht. Was wir aber wirklich meinen, wenn wir von Natur sprechen, ist die Natur, die einfach da ist. Eine Rose, ein Fluss, ein Baum. Dinge, die spontan passieren.
Da, wo ich lebe, gibt es zwar Natur, aber sie ist fast überall nicht mehr unberührt. Sie wird von Menschen bewirtschaftet. Manchmal besser, manchmal schlechter. Wahre Natur ist aber einfach da und existiert nach eigenen Regeln. Das fasziniert mich.
Macht Sie das Schreiben von Gedichten glücklich?
Ja, auf eine Art schon. Ich muss dazu aber sagen, dass ich nicht der aktive Teil bin. Ich empfange etwas. Gedichte passieren mir einfach. Ich muss bloss gut zuhören. Das tönt jetzt etwas mystisch, aber es ist so. Es geht ums Zuhören.
Aber am Schluss, wenn alles auf Papier ist, wenn ich das, was ich ursprünglich gehört habe, vor mir habe, spüre ich eine gewisse Befriedigung.
Manchmal würde ich dann gerne jemandem sagen «Hey, ich habe ein schönes Gedicht geschrieben!» Ich mache das aber nicht. Ich habe es ja nur empfangen.
Dichtung ist politisch, weil Sprache an sich politisch ist.
Sie sagten mal in einem Interview, alle Dichtung sei politisch. Was meinen Sie damit?
Dichtung ist politisch, weil Sprache an sich politisch ist. Allgemein gesagt gibt es zwei Tendenzen in der Gesellschaft. Die eine neigt dazu die Sprache zu reduzieren, zu vereinfachen und weniger ausdrucksstark zu machen.
Auf der anderen Seite gibt es die Bestrebung, alle Register zu ziehen, die Sprache mit all den Möglichkeiten die sie hat, ihrer ganzen Ausdrucksfähigkeit zu nutzen.
Ich gebe Ihnen ein Beispiele für Reduktion: Wenn man von Kollateralschaden redet, heisst das doch, da wurden Menschen getötet. Da wird etwas Schreckliches auf einen möglichst simplen Ausdruck reduziert.
Wenn heute ein Politiker interviewt wird und einen komplexen Sachverhalt erläutern will, wird er bereits nach ein, zwei Sätzen unterbrochen und der Interviewer sagt: «Stopp, das ist zu kompliziert.»
Das hat zur Folge, dass Politiker versuchen, komplexe Sachverhalte in einfachen Worten darzustellen. So ist das heute.
Eigentlich müsste der Politiker aber sagen, wenn ihr meine Argumente hören wollt, dann setzt euch hin, haltet den Mund und hört zu. Komplexe Themen brauchen Zeit.
Sie sagen jetzt vielleicht, das sei elitär und akademisch. Nein. Wir alle sollten eine Sprache sprechen, die so ausdrucksreich und tiefgehend ist wie möglich. Wie wir uns ausdrücken, unsere Gefühle und unsere Wertschätzung, das macht uns doch aus.
Also ist es immer politisch wenn man die Sprache braucht. Und so ist es auch politisch, wenn ich Gedichte schreibe.
Manchmal weist uns ein Traum auch darauf hin, wie etwas sein sollte.
Ihre Gedichte sind voller Beschreibungen von Träumen.
Das stimmt. Die Frage ist doch: Was will ich mir selber sagen, wenn ich träume? Wie oft wacht man auf und ist überrascht darüber, was einem ein Traum erzählt hat. Mir passiert das oft und ich höre auf meine Träume, wie ich auf ein Orakel hören würde.
Im wachen Zustand sind wir mit diesem und jenem beschäftigt. Der Traum hat eine andere Sicht auf die Dinge. Der Traum verwandelt alltägliche Bilder, die du aufnimmst, wenn du zum Beispiel die Strasse entlang gehst.
Er hebt manche der Bilder und Eindrücke heraus und verweilt auf Dingen, die dir nicht aufgefallen sind. Und manchmal weist uns ein Traum auch darauf hin, wie etwas sein sollte.
Und man fragt sich plötzlich: Was tust du da? Warum gibst du dich mit Situationen zufrieden, die nicht in Ordnung sind? Träume stöbern in der Erinnerungskiste und betonen Eindrücke, die uns im wachen Bewusstsein nicht mehr präsent sind. In diesem Sinne glaube ich, dass Träume Botschaften vermitteln können.