Schönheit ist heute wichtiger als je zuvor. Davon ist die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist überzeugt. Das zeige sich etwa auf Instagram, wo sich stundenlang Bilder prominenter Schönheiten anstarren lassen. Grund genug für die Feministin, sich dem Thema mit ihrem neuen Comic «Im Spiegelsaal» anzunähern.
Es ist nicht der erste Sachcomic aus Strömquists Feder. Bekannt wurde sie mit «Der Ursprung der Welt», eine Kulturgeschichte der Vulva. Es folgten «I’m every woman» über den Mythos männlicher Genies und «Ich fühl’s nicht» über Liebe im Zeitalter des Kapitalismus.
Im neuen Band «Im Spiegelsaal» geht es um verschiedene Aspekte von Schönheit. Strömquist interessiert dabei vor allem, welche Rolle soziale Medien bei der Frage spielen, was schön ist, und was die tägliche Bilderflut mit uns macht.
Minderwertigkeitsgefühle und Neid
Dass soziale Medien den Fokus auf Äusserlichkeiten fördern, ist bekannt. Es erklärt allerdings noch nicht, warum viele Menschen sich über den Anblick von Instagram-Bildern nicht einfach freuen können. Im Gegenteil: Sie entwickeln Minderwertigkeitsgefühle, empfinden Neid oder das Bedürfnis, neue Kosmetikprodukte zu kaufen.
Strömquist lehnt sich dabei an den Philosophen René Girard an. Dieser stellte die These auf, dass der Mensch das begehrt, was andere begehren. Schönheit schafft also ausser Bewunderung auch Rivalität.
Aussehen war früher unwichtig
Ausserdem stützt sich die Zeichnerin auf «Marriage, a History» von Stephanie Coontz. Früher in der Versorgungsgemeinschaft sei gutes Aussehen unwichtig gewesen, schreibt die Historikerin. Erst mit der sexuellen Revolution und dem freien Liebesmarkt sei es zentral geworden.
Heute im Kapitalismus gilt es, sexy zu sein. Das ist selbst dann der Fall, wenn man nicht nach Liebe sucht. Denn Sexyness ist ein eigener Wert geworden. Der Kapitalismus will uns dazu bringen, immer Neues zu begehren und sich selbst zu optimieren. Doch Schönheit lasse sich nicht kontrollieren. Sie komme unerwartet, wenn man sich der Welt öffne, so Strömquist.
Protest gegen die Bedeutungslosigkeit
Bei Schönheit gehe es auch immer um die Angst vor der Vergänglichkeit, erzählt der Comic-Essay. Sich ständig zu fotografieren, entspreche dem Wunsch, die Zeit anzuhalten. Es sei ein Protest gegen die eigene Bedeutungslosigkeit.
«Im Spiegelsaal» nimmt Leserinnen und Leser mit auf eine Reise durch 2000 Jahre Kulturgeschichte. Dabei werden Theorien von Philosophinnen, Historikern und Soziologinnen mit Anekdoten über Sissi oder Marilyn Monroe und popkulturellen Phänomene wie Kylie Jenner gemischt.
In einem Kapitel berichten fünf Frauen zwischen 50 und 70 Jahren, wie sie ihr Älterwerden erleben. Eine hat Abschied genommen von der Schönheit, eine andere erzählt von der Macht der Schönheit. Diese eher nachdenklichen Interviews sind untypisch für Strömquist.
Gekonnte Verbindung von Wissenschaft und Popkultur
Ansonsten überzeugt die Autorin wie in ihren vorherigen Comics damit, Wissenschaft und Popkultur zu verbinden und toxische Mechanismen unserer Gesellschaft zu zerlegen. Gekonnt schreibt sie Sätze wie «Kim Kardashian hat sich die Fähigkeit angeeignet, sich selbst mit dem gleichen, geilen Blick zu betrachten wie ein Lustmolch».
Passend zu den frechen Texten zeichnet sie mit derbem Strich Bilder, die den glatten Instagram-Fotos entgegenstehen. «Im Spiegelsaal» kommt witzig und scharfsinnig daher, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas zu verlieren.