Dieses Buch wird bleiben. Nach den Romanen «Buch der Erinnerung» (1000 Seiten) und «Parallelgeschichten» (1700 Seiten) legt Péter Nádas mit «Aufleuchtende Details» wieder ein gewaltiges Werk von 1300 Seiten vor.
Dabei handelt es schwerpunktmässig nur von wenigen Jahren, den Kindheits- und frühen Jugendjahren des am 14.Oktober 1942 in Budapest geborenen Autors. Das Buch ist ein erratischer weltliterarischer Koloss, aber ohne jeden Gigantismus geschrieben, eher eine Feier der Kleinigkeiten, der aufleuchtenden Details eben.
Massaker am Tag der Geburt
Péter Nádas gesteht an zentraler Stelle, dass es besser gewesen wäre, wenn ihn seine jüdische Mutter abgetrieben hätte oder wenn er sich in die Nabelschnur verheddert hätte. «Meine Mutter hätte doch sehen können, in was für eine Welt sie mich hinausstiess.» Am Tag seiner Geburt wurden 1947 Bewohner des Ghettos von Misotsch ermordet, eine der damals alltäglichen Massenerschiessungen.
Als Junge wächst Péter Nádas mit dem Geruch von Leichen und Zerstörung auf. In Budapest herrschen die Nationalsozialisten und die mit ihnen liierten ungarischen Pfeilkreuzler. Dann wird die Stadt immer stärker von der Roten Armee belagert. Für die Zivilbevölkerung ist das oft ein Leben in eisig kalten, feuchten Kellern.
Aufwachsen mit der Folter
Péter Nádas' Eltern und Angehörige sind besonders gefährdet: Einerseits als Juden, andererseits sind die Eltern im kommunistischen Widerstand engagiert. Der Vater war schon in den 1930er-Jahren verhaftet und gefoltert worden. Der junge Péter Nádas wächst in der Gewissheit auf, dass man auch ihn eines Tages foltern werde.
Als die Kommunisten dann in Ungarn an die Macht kommen, machen die Eltern von Péter Nádas zunächst Karriere. Sie zählen zur führenden Nomenklatura und schweigen zum stalinistischem Terror. Schliesslich fallen sie aber selber in Ungnade und werden aus der kommunistischen Elite verstossen. Die Mutter erkrankt an Krebs und stirbt, als Péter Nádas erst 14 ist. Der Vater kommt nie darüber hinweg und nimmt sich zwei Jahre später das Leben.
Gegen die heutige Ich-Aufgeblasenheit
Das Buch trägt den Untertitel «Memoiren eines Erzählers». Doch Péter Nádas erfindet das biedere Memoiren-Genre ganz neu. Während in handelsüblichen Lebenserinnerungen gerne Unliebsames unterschlagen oder geschönt wird, hält sich Nádas an Dokumente und historische Quellen. Er verhilft der Sachlichkeit zu neuer Ehre und treibt seinen Memoiren die Ich-Fixierung aus. In jedem «Ich» steckt für ihn eine Menge «Wir».
Insofern widersetzen sich Péter Nádas' Memoiren der heutigen «Ich-Aufgeblasenheit» im Internet, aber auch in der Literatur. Er zeigt auf, wieviel Zeitlich-Bedingtes, wieviel Weltgeschichte in jedem einzelnen Ich drin ist, wie das Ich determiniert und festgelegt ist. Ihn habe interessiert, so Nádas, «wie ich bin ohne mein Ich».
In diesem mal erzählerisch, mal eher essayistisch oder analytisch gehaltenen Meisterwerk «Aufleuchtende Details» ist das ganze grausame, von Verrat und Ideologie verseuchte 20. Jahrhundert erhellt, aber nicht in monumentalen Panoramabildern, sondern in präzisen und prägnanten Momentaufnahmen. Darum wird das Buch bleiben.