Er wollte das Heidi befreien aus der pietistischen Religiosität des Reformierten, sagt Hanspeter Müller-Drossaart über seine Bühnenfassung dieser urschweizerischen Geschichte. Johanna Spyris Bündner Heidi trage schwer an der Last, ein kleiner Heiland sein zu müssen, der alle erlöst: Den Grossvater, die gelähmte Klara in Frankfurt, den Geissenpeter – letztlich alle!
«Mehr Mist, mehr Leben!»
Sein Buochser Heidi dagegen ist ein normales irdisches Waisenkind, das sich zu arrangieren versucht mit einer Welt, die es nicht eben gut mit ihm meint.
«Da ist mehr Mist im Raum, mehr Leben, mehr Ironie und Brüchigkeit», verspricht der Autor. Und wirklich: In den rund 30 Szenen dieses Theaterstücks gibt es viel zu lachen. Trockene, bauernschlaue Dialoge wechseln sich ab mit Wortwitz und träfen Dialektausdrücken. Ohne dass dem geplagten Heidi damit seine Ernsthaftigkeit genommen würde.
Zum Lachen und zum Heulen
«Lieber hochdeytscher Liebgott», betet das heimwehkranke Heidi in Frankfurt, «mach sofort, dass ich nach Hause kann! Du kannst das Zugbillett in meine Schuhe legen.» Pause. «Wenn er etz niid säid, chaner mer id Schue blaase!»
Schallendes Gelächter im rappelvollen Buochser Theater. Obwohl doch zum Heulen traurig ist, was dem armen Kind angetan wird.
«Man muss den Leuten mit dem Lachen den Kopf öffnen, um dann die Nägel der Vernunft einzuschlagen», zitiert Hanspeter Müller-Drossaart den Dramatiker Dario Fo – und verweist damit auf die politische Dimension, die gerade auch das Volkstheater haben kann. Katharsis über die Hintertreppe, sozusagen.
Das Publikum kommt in Massen
Jede der über 30 Vorstellungen im Theater Buochs ist restlos ausverkauft. «Heidi» zieht und die Theatergesellschaft Buochs, die dieses Jahr ihr 160-jähriges Bestehen feiert und damit älter ist als selbst die «Heidi»-Romane, zieht auch.
Zurecht. Diese Inszenierung zeigt ein unterhaltsames, berührendes, mitreissendes Heidi, gespielt von einer motivierten und professionell auftretenden Laientheatergruppe
Die Versetzung aus dem reformierten Graubünden in die katholische Innerschweiz lässt die Figuren freier atmen. Hier kann man mit seinem Gott feilschen. Ihrem «Grosdädi» empfiehlt Heidi mit strenger Miene: «Villicht setsch äinisch midem rede» – «mid wem?». Heidi zeigt wortlos mit dem Finger zum Himmel. Alles Verhandlungssache.
Der Alpöhi ist hier ein «Äimiäsler»
In dieser Gegend hier beleben Sagen, Mythen und Legenden die Tannen, die Berge und die Luft. Hier sorgt schon die knorrige, erdige Sprache dafür, dass keiner abhebt. Im Dorf hat der Grossvater den Spitznamen «Äimiäsler».
Das ist einer, der nur ein Mus kocht, also nur für sich kocht – ein Eigenbrötler halt. Das Wort könnte speziell für den grimmigen Alten erfunden worden sein. Aber es existiert tatsächlich im Nidwaldnerdeutschen.
Der Nidwaldner Dialekt ist für Müller-Drossaart der Inbegriff für die Ansiedlung der Geschichte in der Innerschweiz: «So wird hier gesprochen!» Deshalb ist das Buochser Heidi eben «Eyses Heidi». Das überzeugt so vollständig, dass man sich für jeden Dialäkt ein eigenes «Heidi» wünscht.
Sendung: Kontext, Radio SRF 2 Kultur, 06.02.2020, 09:02 Uhr