- Die Ausstellung «Schreibrausch» im Zürcher Literaturmuseum Strauhof widmet sich intensiven und exzessiven Schreibprozessen.
- Zu sehen sind im rausch verfasste Schriftstücke, aber auch abgebrochene Manuskripte und Schreibblockaden werden gezeigt.
- Über den Zustand des Rauschs wird auch viel über Inspiration und Handwerk der Schreibenden erzählt.
Ob Hermann Burger, Jean Cocteau, Friedrich Dürrenmatt oder Jack Kerouac, sie alle stellten sich die gleiche Frage: Wie gelange ich zu Inspiration? Und wenn ich sie einmal habe, die Inspiration: Wie steigere ich sie zu einem Zustand, in dem der Text einfach nur noch fliesst?
Wo die Inspiration schlummert
Die Antworten der Schriftsteller sind unterschiedlich – und sie erzählen viel über das Wesen der Inspiration. Das Museum Strauhof in Zürich widmet diesem Thema die Ausstellung «Schreibrausch – Faszination Inspiration».
«Schreibrausch ist ein sehr assoziationsreiches Wort», sagt Magnus Wieland, der gemeinsam mit Andreas Schwab die Ausstellung kuratiert, dem Besucher: «Wir haben diesen Titel deshalb gewählt, weil die Ausstellung ganz unterschiedliche Aspekte von besonders exzessiven Schreibprozessen zeigen möchte.»
Von der Blockade zum Überfluss
Um diese intensiven Schreibprozesse zu zeigen, haben die beiden Kuratoren eine ganz einfache Dramaturgie gewählt: «Die Ausstellung beginnt dort, wo noch nichts passiert: Bei der Schreibblockade, bei der man vor dem leeren Blatt sitzt und einfach nicht weiterkommt. Und sie endet dort, wo die Schrift überbordet. Wo also plötzlich so viel auf das Blatt zu stehen kommt, dass man fast nichts mehr lesen kann – und die Schrift in ein Rauschen hinübergleitet.»
Zwischen diesen beiden Eckpunkten – Schreibblockade und Schreibüberfluss, die beide in die Stagnation führen – liegt all das, was mit Inspiration zu tun hat und zum Schreibrausch führen kann. Gezeigt wird das im Strauhof anhand von Objekten, die sich mit konkreter Literatur verbinden.
Eine Woche für ein Buch
Den Anfang machen Bücher, die in sehr kurzer Zeit entstanden sind. Dargestellt an Objekten, die diese Rekordzeit belegen – oder auch gleich wieder widerlegen. Markus Wieland zeigt auf ein Objekt von Arthur Schnitzler, die Erstausgabe von «Leutnant Gustl», die mit «Reichenau, vom 13.-17. Juli 1900» datiert ist.
Auf der Handschrift sei die letzte Seite auch datiert worden, dort seien allerdings zwei Tagen mehr angegeben, bemerkt Magnus Wieland: «Schnitzler hat die Schreibdauer um zwei Tage frisiert.» Was bedeutet, dass es immer noch nur sieben Tage waren, bis die Novelle entstanden ist.
Meisterwerke in Miniaturschrift
Spürbarer wird der Schreibrausch im nächsten Raum, in dem Manuskripte zu sehen sind, die immer und immer wieder überschrieben wurden. Da spürt man förmlich das «Nicht mehr aufhören können» – und sieht es konkret vor sich.
Druckfahnen von Marcel Proust gehören dazu, die übermalt, überschrieben und mit angeklebten Zusatzzetteln versehen sind. Die Miniaturen von Robert Walser, wo ein fahrkartengrosser Zettel einen halben Roman beherbergt.
Oder ein unbekanntes und verblüffendes Blatt Papier, das vom Schriftsteller Peter Esterhazy stammt und noch rauschhafter wirkt. Es handelt sich um eine Abschrift eines Romans des ungarischen Autors Gésa Ottlik, der ein wichtiges Vorbild für Esterhazy war: «Zu Ottliks 70. Geburtstag schrieb er die etwa 500 Seiten von Hand ab – und zwar auf einem einzigen Blatt Zeichenpapier», erklärt Kurator Magnus Wieland.
Drogen als Schreibtechnik
Weitere Räume zeigen weitere Aspekte des Schreibrausches: Rauschmittel etwa. Von der minutiösen Zusammenstellung sämtlicher Drogen, die Bernward Vesper zum Schreiben seines Romanfragments «Die Reise» konsumiert hat, bis hin zu Techniken, mittels derer Surrealisten und die Vertreter der Beat-Generation versucht haben, den Schreibrausch künstlich auszulösen.
Verblüffend sinnlich
All das ist nicht nur sehr vergnüglich und lehrreich. Es ist auch verblüffend. Denn auf Grund dieser einfachen Idee, sich via Schreibrausch dem Schreiben zu nähern, erfährt man viel über Inspiration und die Vorgänge des Schreibens. Und das auf eine verblüffend sinnliche Art und Weise.
Sehr gut wirkt auch die Idee, das Thema Schreibrausch mit dem Gegenteil zu verbinden, etwa mit der 15-jährigen Schreibblockade des Schriftstellers Wolfgang Koeppen, der nicht über den einen ersten Satz hinauskommt. Oder mit extremen Formen des Schreibrausches, der auch wieder in die Stagnation führt, am Ende der Ausstellung.
Was Kreativität ausmacht
Es bleibt am Ende der Ausstellung nur noch die Frage, wie die beiden Kuratoren überhaupt auf die Idee des Schreibrauschs gekommen sind. Auch der Ausstellung selbst liegt eine – harmlose – Form des Rauschs zu Grunde, erzählt Magnus Wieland: «Es war nicht gerade eine Schnapsidee, aber sie ist doch beim gemeinsamen Bier entstanden. Da stand plötzlich dieses Wort Schreibrausch im Raum.»
Daraus sei rasch viel entstanden, sagt Wieland. Denn: «Diese kolportierten Ausnahmesituationen des Schreibrauschs vermitteln das, was Kreativität ausmacht, vielleicht am fassbarsten.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 9.2.2017, 17.06 Uhr