Dunkelblum ist eine fiktive Kleinstadt im österreichischen Burgenland, gleich an der Grenze zu Ungarn. Seit Jahren geht das Leben seinen gewohnten Gang.
Nichts bewegt sich. Nichts kommt ans Tageslicht, was man hier unter den Teppich gekehrt hat. Das ist durchaus im Interesse so manchen Bürgers. Denn der Ort hat ein schreckliches Geheimnis.
Es geht um ein Massaker an etwa 200 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Ein Elendszug von ausgehungerten Menschen auf dem Weg ins KZ Mauthausen wird in der Gegend von Dunkelblum angehalten, liquidiert und verscharrt.
Viele Dunkelblumerinnen und Dunkelblumer wissen davon, niemand redet darüber. Stattdessen richtet man sich bequem ein in Schweigen und Verdrängen. Oder dann gleich im früheren Besitz vertriebener Juden.
Zwei Skelette, zahllose Fragen
Jetzt aber, im Spätsommer 1989, der Jetzt-Ebene des Romans, kommt alles in Bewegung. Ein Herr aus Boston erscheint und beginnt, im Ort herumzufragen. Auf dem verwilderten jüdischen Friedhof des Städtchens arbeiten junge Leute aus Wien und versuchen, den Ort wieder zugänglich machen.
Jenseits der Grenze warten tausende ostdeutsche Flüchtlinge auf eine Möglichkeit, in den Westen zu gelangen. Und zu allem Überfluss tauchen bei Grabungsarbeiten oberhalb des Ortes zwei Skelette auf.
Rasch ist nichts mehr, wie es war. Die verdrängte Geschichte scheint ans Tageslicht zu kommen.
Reales Vorbild Rechnitz
Eva Menasse bezieht sich in ihrer Geschichte auf einen Fall, der sich tatsächlich zugetragen hat. Rechnitz ist einer von mehreren Orten im Osten Österreichs, wo in den letzten Kriegstagen ein vergleichbares Massaker verübt wurde.
Im Unterschied zu anderen Orten ist das Massaker von Rechnitz nie aufgeklärt, das Massengrad nie entdeckt worden. Zu konsequent muss das Schweigen von Tätern und Zeitzeuginnen gewesen sein, zu gross der Druck innerhalb der Stadt.
Trotz dieser historischen Parallele ist «Dunkelblum» kein Rechnitz-Roman. «Dunkelblum» ist fiktiv, auch wenn das eine oder andere Motiv aus dem richtigen Rechnitz im Roman auftaucht, wie das unterdessen abgerissene Stadtschloss, von wo aus die SS-Leute zum Massaker aufgebrochen sein sollen.
Aber sämtliche Figuren des Romans, vom Biobauer bis zum Bürgermeister, vom Reisebürobesitzer bis zum zurückgekehrten jüdischen Kaufmann, vom ostdeutschen Flüchtling bis zur Hotelbetreiberin, sind erfunden. Und sie stehen für mehr als für Rechnitz.
Nicht das Ende der Geschichte
Denn «Dunkelblum» ist ein Nachkriegsroman. Ein in Eva Menasses gewohnt sarkastischem Ton verfasster Text, der von der grossen Lebenslüge der Zweiten Republik erzählt, wonach man Hitlers erstes Opfer gewesen sei.
Damit steht der Roman auch in bester Tradition österreichischer Nachkriegsliteratur. Er reiht sich ein in Texte von Thomas Bernhard, Christoph Ransmayr, Norbert Gstrein, Josef Winkler und Elfriede Jelinek.
Eva Menasse kann da nicht nur mithalten. Mehr als das: Sie hat mit Dunkelblum auch einen literarischen Ort geschaffen, der fortan symbolisch für Österreichs jüngere Geschichte steht.
Das Massengrab in Dunkelblum lässt auch Eva Menasse unentdeckt. Man kann also davon ausgehen, dass dies nicht der letzte Roman in dieser Reihe gewesen ist. So steht es jedenfalls ganz am Schluss des Romans, wo es heisst, dass das nicht das Ende der Geschichte sei.