Mit Henry David Thoreau hat alles angefangen. 1845 verschwand der zivilisationsmüde Philosoph in seiner selbstgebauten Hütte am Walden-See, um das Experiment selbstbestimmten Lebens zu wagen.
Was er über das Leben in selbstgewählter Freiheit zu sagen hatte, schrieb er in seinen epochalen Naturessay «Walden». Die Bibel der Aussteiger und Naturschützer wurde zum Vorbild vieler «Nature Writer».
Naturforschung in schönen Büchern
Und heute? Es könnte doch alles so schön sein, weit weg vom nervigen Treiben der Grossstadt, angefüllt mit schlechter, stickiger Luft, gibt es immerhin noch Wälder und Auen, die zum Verweilen einladen.
Man muss nur hinausfahren, um all das zu erleben. Stattdessen holen wir uns die von Thoreau besungene Natur mit schönen Büchern zurück, an denen man sich nicht schmutzig macht.
Blickt man in die Kataloge vieler deutschsprachiger Verlage, die Monografien viel Platz einräumen über Falken, Krähen, Wölfe und Wale, aber auch über Berge und Englands verschollene Wildnis, dann verdichtet sich der Trend medialer Naturaneignung.
Ausdruck einer Krise?
Da werden Rabenvögel zu Familienmitgliedern, der Wald als empfindsames Netzwerk kluger Organismen beschrieben. Manche Forscher schlüpfen gar in die Rolle von Tieren und fressen buchstäblich Dreck, wie der englische Tierforscher Charles Foster oder wandeln auf alten Pfaden wie der englische Natur-Essayist Robert Macfarlane.
Sind Nature Writer möglicherweise Bewohner eines Elfenbeinturmes, die einmal mehr in die Natur hinaustreten, um ihrer Entfremdung Luft zu machen? Oder anders gefragt: Ist Nature Writing nicht auch eine Expedition durch innere Landschaften?
Es ist wohl vor allem der Ausdruck einer Krise, einer Krise des Menschen, dass zu viele Schritte gegangen wurden in eine andere Richtung.
Es gibt sehr viel Beziehungsloses – das merkt man daran, dass die Leute wieder Lust haben, Gemüse auf dem Balkon zu ziehen, erläutert Judith Schalansky, Herausgeberin der Naturkunden-Reihe im Berliner Verlag Matthes & Seitz, die als Gallionsfigur im deutschsprachigen Nature Writing gilt.
Sehnsuchtstexte
In der Zeitlosigkeit vieler schön gestalteter Naturbücher können wir Leser untertauchen, uns die Natur für einen berauschenden Lesemoment zurückholen.
Unsere zersiedelten, von Verkehrswegen zerschnittenen Landschaften mit ihren Naturschutzgebieten, Naherholungsgebieten und geordneten Wanderstrecken sind nur noch ein Schatten jener Wildnis, die Robert Macfarlane vermisste und besang.
Eine Wildnis, die Unordnung, Chaos – und eben auch Freiheit bedeutete. Naturbücher besetzten etwas, das vor 30 Jahren vielleicht noch selbstverständlich war.
In Zeiten, da es selbstverständlich war, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich einfach frei in der Natur bewegen konnten, Tiere für Kinder nicht tabu waren, war auch die Notwendigkeit nicht gegeben, sich über den Buchmarkt oder die Medien virtuell mit der Natur zu befassen. Man konnte sie direkt erleben.
Vielleicht ist Nature Writing nicht nur ein Trend, sondern eine nachhaltige Aufforderung, die Natur als Spiegelbild einer kriselnden Zivilisation zu begreifen. Fazit der meisten Natur-Bücher: Lernt wieder die Natur zu sehen.