Comics über Afrika sind selten, noch seltener erreichen Comics aus Afrika den deutschsprachigen Buchmarkt. Eine erfreuliche Ausnahme ist «Lagos – Leben in Suburbia» der Nigerianer Elnathan John und Àlàbá Ònájin. Darin werfen sie einen satirisch zugespitzten Blick in den Alltag eines mittelständischen Vororts der nigerianischen Millionenmetropole.
Im Mittelpunkt steht die Familie Akpoborie. Der Vater ist der fundamentalistische Prediger seiner eigenen Freikirche. Zu Hause gibt er den autoritären Familienpatriarchen. Die Mutter ist Hausfrau und möchte sich am liebsten von ihm trennen, die jüngere Tochter Keturah lässt sich vom Assistenten ihres Vaters schwängern.
Breitgefächertes Figurenensemble
Derweil entdeckt und erforscht der Sohn Godstime seine Homosexualität. Gleichzeitig hetzt der Vater mit Vorliebe gegen Schwule und andere angebliche Sünder, missbraucht aber ganz selbstverständlich die junge Hausangestellte sexuell.
Zur Familie Akpoborie gesellen sich weitere Verwandte, Bekannte und Nachbarn. Das breitgefächerte und diverse Figurenensemble repräsentiert die Mittelklasse Nigerias. Nicht materielles und soziales Elend, nicht Bürgerkriege, Hunger, Migration, Aids und andere Katastrophen sind das Thema dieser Satire, sondern Sorgen, die sich letztlich nicht gross von den unseren unterscheiden. Damit vermittelt der Comic ein ganz anderes Bild von Afrika als die meisten Nachrichtensendungen und Dokfilme.
Kleine Sorgen, grosse Themen
Die schwungvolle Erzählweise, der Humor, der leicht naive Strich und die bunten Farben täuschen indes nicht über die gewichtigen Themen hinweg, die John und Ònájin ansprechen: Die Schwulenfeindlichkeit in einem Land, dessen Regierung ein Gesetz gegen Homosexualität erlässt; die Radikalität protestantischer Freikirchen und als Gegenpol dazu der fanatische Islamismus von Terrorgruppen wie Boko Haram.
Auch Geschlechterrollen, Chancenungleichheit, Heuchelei, Depressionen, zwielichtige Deals, Korruption und anderes mehr kommen zur Sprache. Das geschieht allerdings nie auf aufdringliche Weise, sondern beiläufig, glaubhaft und auf die unterschiedlichen Perspektiven der vielen Figuren verteilt.
«My mama no well»
Erzählerische Vorbild des Comics sind vor allem die populären nigerianischen TV-Novelas. Diese zeichnen sich durch einen breiten Cast, grosse Dramen und Gefühle sowie viele Verstrickungen und rasante Plotwendungen aus.
Erfreulicherweise bewahrt die deutsche Übersetzung ein Gefühl für die sprachliche Vielfalt Nigerias. Je nach Herkunft der Figuren spielt sie mit Akzenten. Gewisse Pidgin-English-Ausdrücke lässt sie unübersetzt stehen: «My mama no well» zum Beispiel, um auszudrücken, dass die Mutter krank ist, oder, besonders schön, das «una hear say» aus der Gerüchteküche. Das verleiht der Geschichte ein authentisches Kolorit.
Hektisches Zappen
Allerdings macht der Autor Elnathan John bisweilen den Fehler, zu rasch zwischen Szenen und Handlungssträngen hin und her zu zappen. Er lässt den Leserinnen und Lesern kaum Zeit, sich auf eine Situation und die Charaktere einzulassen und echte Nähe zu den Hauptfiguren aufzubauen.
Das Lesevergnügen schmälert das allerdings nur wenig. Der Comic funktioniert wie ein überaus unterhaltsames und satirisch geschärftes Prisma, das einen vielfältigen Blick auf den nigerianischen Alltag erlaubt. Damit bietet er eine in unseren Breitengraden und gerade der Comicwelt viel zu seltene Perspektive auf die afrikanische Realität.