«Hunkeler in der Wildnis», so heisst der 10. Kriminalroman des Schriftstellers Hansjörg Schneider mit dem bärbeissigen und doch liebenswürdigen Kommissär Peter Hunkeler.
In dem Krimi herrscht Wildnis, auch in der zivilisierten Gesellschaft. Ein Narr, wer sich in Sicherheit wähnt. Das Leben ist trotz aller modernen Errungenschaften brüchig. Schneiders Roman passt zur aktuellen Corona-Krise wie die Faust aufs Auge.
Die Wildnis lauert überall
Hansjörg Schneiders Hunkeler-Krimis landen regelmässig ganz oben auf der Bestsellerliste. Der ehemalige Kommissär des Kriminalkommissariats Basel, nun im Ruhestand lebend, hat eine grosse Fangemeinde. Und somit auch der Autor. Denn Schneiders Bücher sind gespickt mit eigenen Erlebnissen, Erfahrungen, Träumen.
Auch im neusten Fall teilt Schneider seine Welt mit der Leserschaft. Nimmt sie mit ins Elsass, in das Haus, das er und seine verstorbene Frau liebten und das zu Hunkelers Rückzugsort wurde, und durch die Strassen Basels, Schneiders Wohnsitz. Doch ob in der Natur oder mitten in der Stadt: überall lauert Gewalt.
Toter in Basel
Tatort Kannenfeldpark, einst ein Friedhof. Sowohl Schneider als auch Hunkeler trinken hier gerne Kaffee, lesen Zeitung, geniessen den Frieden. Doch damit ist es in «Hunkeler in der Wildnis» bald vorbei. «Da liegt ein toter Mann, dem der Schädel eingeschlagen wurde», berichtet eine schockierte Parkbesucherin.
«Der Tod hatte Einzug gehalten mitten in Basel, an einem strahlenden Sonntagmorgen, als die Welt mit sich einig zu sein schien.» Der Tote ist Heinrich Schmidinger, Literatur- und Theaterkritiker in Rente. Am Tatort: Boulekugeln. Die Tatwaffe? Sonnenklar, dass Hunkeler den Fall lösen wird.
Hunkeler und Corona – zwei Krimis
Auch Schneider geniesst keine Ruhe mehr im Park. Die Corona-Massnahmen zwingen den Schriftsteller, der am 27. März 82 Jahre alt wird, zu Hause zu bleiben. Wir erwischen ihn per Telefon – beim Schreiben.
Schneider gesteht: «Ich war ja der Meinung, das sei jetzt mein letztes Buch. Doch jetzt hocke ich in meiner Wohnung und schaue Fernsehen. Denke: Was ich machen kann: Sätze schreiben. Sofort habe ich gespürt, das ist Leben, das ist Widerstand.» Wird daraus ein neuer Hunkeler? Schneider verrät nur, dass er den ersten bestätigten Corona-Fall der Schweiz als Ausgangspunkt genommen hat.
Dass auch «Hunkeler in der Wildnis» mit dem Corona-Fall vieles gemein hat, liege auf der Hand. Schneider ergänzt: «Das Virus ist auch ein Einbruch in die Realität, der alles verändert. Die glatte Fläche unserer Gesellschaft wird brutal aufgerissen und es kommt etwas Unheimliches zum Vorschein. Wir Schweizer hatten das Gefühl: Wir sind unangreifbar.»
Raubtier Mensch
Die glatte Oberfläche zu durchbrechen, darin sieht Schneider seine Aufgabe. Im neuen Roman gelingt ihm das beispielhaft. Schneiders Stilmittel: der Kontrast. In idyllischer Landschaft treibt ein einst gezähmter Hund sein Unwesen, in der Stadt Basel die Bestie Mensch. Schneider ist davon überzeugt, dass der Mensch in seinem Grundwesen ein wildes Tier ist, das mit grosser Mühe, mit Gesetzen und Religionen gezähmt wurden.
Auch das erste Mordopfer entpuppt sich als Bestie. Schmidinger habe die Menschen mit seinen Kritiken totgebissen. Dies erfährt Hunkeler von einer ehemaligen Journalistin, die ein beinmageres Kitz aufpäppelt, damit es nicht vom Wolf gefressen wird. Während Hunkeler recherchiert, weilt seine Freundin Hedwig übrigens bei einem Meditationskurs in der Toskana. Kontrast folgt auf Kontrast.
«Der neue Hunkeler ist vielleicht mein bester Krimi», sinniert Hansjörg Schneider. In der Tat. Er ist bildstark, brisant. Und aktuell, wenn auch unbeabsichtigt. «Ich weiss ja, dass ich in den nächsten Jahren sterben werde, aber das verdrängt der Mensch einfach. Ich lebe so, wie wenn ich noch 50 Jahre vor mir hätte. Die Krise kann nur mit Solidarität bewältigt werden. Aber: Ich bin Optimist.»