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Neuer Roman «Vogelkind» Booker-Preisträgerin Anne Enright erfindet sich einen Dichter

Die mehrfach ausgezeichnete irische Schriftstellerin Anne Enright scheut sich nicht vor Herausforderungen: In ihrem Roman «Vogelkind» betrachtet sie mit Leichtigkeit komplexe Familiendynamiken – und beweist sich sogar als Dichterin.

Anne Enright interessiert sich nicht für Bösewichte und Helden, sondern für die Komplexitäten, die Menschen in verschiedene Richtungen treiben. Widersprüchlich ist in ihrem neusten Roman «Vogelkind» vor allem eine Figur, die des irischen Nationaldichters Phil McDaragh.

Der Roman erzählt die Geschichte des fiktiven, aber berühmten Lyrikers und den Einfluss seines Lebens und Werks auf seine Tochter und Enkeltochter. «Phil kommt aus einer Tradition der irischen Lyrik, wo die Männer ein bisschen wild waren, weil die Gesellschaft sie wild haben wollte», sagt Anne Enright.

Poesie trifft Posts

Phil verlässt Frau und Kinder, als seine Frau an Krebs erkrankt. Doch Enright lässt ihn nicht einfach als Bösen dastehen. Nach dem Lesen des Romans wird klar, warum der Dichter nicht anders konnte.

Anne Enright hält das Buch 'The Gathering' vor einem Booker Prize Plakat.
Legende: Schwierige Familiendynamiken sind Anne Enrights Fachgebiet: Für ihren Roman «Das Familientreffen» gewann die irische Autorin 2007 den renommierten Booker Prize. EPA/DANIEL DEME

Das Wilde, Fragmentierte des Lyrikers wird in der Enkelin weitergeführt: Sie möchte sich nicht festlegen, reist um die Welt, lebt vegan, macht Yoga, hat wechselnde Sexualpartnerinnen und -Partner und lässt sich spontan Tattoos stechen. «Sie ist auf ihre eigene Weise ein bisschen eine Dichterin», sagt Enright. Denn die Enkelin verdient ihr Geld als Influencerin auf Instagram und sucht ihren Stil für ihre Posts.

Auch hier schafft es Enright, dass man beim Lesen diese Figur nicht leichtfertig in eine Schublade steckt. Die Schriftstellerin nimmt die junge Influencerin – wie alle ihre Figuren – ernst.

Lyrik als Herausforderung

Der Roman «Vogelkind» enthält einige Gedichte des fiktiven Dichters Phil McDaragh. Sie handeln von der Natur, oft von Liebe und auch von der irischen Kultur. Da der Nationaldichter fiktiv ist, hat Anne Enright selbst Gedichte geschrieben: «Das war das Schwierigste. Ich fühlte mich wie eine Hochstaplerin, weil ich noch nie Gedichte geschrieben habe», sagt sie.

Ihre Bücher handeln immer von Menschen, die aufeinandertreffen. «In einem Gedicht treffen sich Menschen nicht wirklich oft.»

Buchhinweis

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Anne Enright: «Vogelkind». Übersetzt von Eva Bonne. 304 Seiten. Penguin, 2025.

Trotz ihrer Selbstzweifel fand Anne Enright die Stimme ihrer fiktiven Figur Phil McDaragh und erkannte, dass Phil selbst ein bisschen ein Schwindler sei: «Da hatte ich einen grossen Durchbruch», sagt sie lachend. Die Herausforderung, Gedichte zu schreiben, war ihr dann auch eine Freude.

Ein Meisterwerk

«Vogelkind» ist umwerfend geschrieben. Leicht verwebt Anne Enright komplexe Themen und findet für jede Figur einen eigenen Stil.

Thematisch ist der Roman auch eine Hommage an die Lyrik und zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Er erzählt von der Natur, von komplexen Beziehungen und der Sehnsucht nach Liebe, familiärer und freundschaftlicher. Ein bewegendes, literarisches Buch.

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