«Arno Camenisch – da weiss man, was man hat»: Mit diesem Werbespruch hätte der Verlag das neue Buch des Bündner Autors ankündigen können.
Stattdessen variieren sie einfach die Farbe des Covers. War der Einband von seines Buches «Der letzte Schnee» (2018) noch passend in Grau mit weisser Schrift gehalten, so tritt uns nun sein neues Buch «Goldene Jahre» in leuchtendem Grasgrün entgegen. Eine Farbe, die für den Frühlingsanfang stehen könnte.
Zwei Damen am Kiosk
«Und der Frühling, wenn der Winter sich verzieht und die Welt wieder erwacht, ist sowieso der beste Zeitpunkt für […] eine Bilanz.» Das sagt im Buch Rosa-Maria, die gemeinsam mit Margrit seit 51 Jahren einen Kiosk führt, der in einem Dorf in Graubünden steht.
Was also in «Der letzte Schnee» Paul und Georg am Schlepplift waren, sind nun die beiden Damen an ihrem Kiosk.
Nostalgie und Klimawandel
Ihre «Bilanz» setzt sich zusammen aus Erinnerungen an die letzten 50 Jahre: An die Mondlandung oder die Tour de Suisse, die einmal durchs Dorf geführt hat und alles im Dorf hat erstrahlen lassen – inklusive der Leuchtreklame über dem Kiosk.
Erinnerungen an die Katastrophe von Tschernobyl 1986 oder an die WM desselben Jahres, die in Form von Panini-Bildern den Kiosk belebte. Sogar der Mauerfall ist es wert, als Anekdote im Leben der beiden Frauen zu erscheinen.
Erinnerungen an Menschen, die kamen und gingen: Schauspielerinnen, Bundesräte oder einfach nur der Pöstler. Aber auch Erinnerungen an Wetter-Katastrophen wie Lawinen und Hochwasser.
Die beiden lassen vor ihrem inneren Auge Revue passieren, wie das Wetter sich wandelte und der grosse Schnee von Jahr zu Jahr mehr verschwand. Camenisch holt so einen abstrakten Begriff wie den Klimawandel anschaulich und bildreich in unsere Lebenswelt.
Auf den Mund geschaut
Damit setzt er einmal mehr auf die Karte, die ihm den gewohnten Erfolg verspricht. Auch was die sprachliche Umsetzung angeht, ist dieses Buch ein «typischer Camenisch».
Dialektale Einsprengsel machen die Dialoge lebendig, so dass sie daherkommen, als hätte er den beiden Damen – von denen man bis zum Schluss nicht weiss, ob sie Freundinnen oder gar Schwestern sind – als stiller Beobachter direkt auf den Mund geschaut.
Wörter wie «söttigs» oder «sodali» und alle möglichen weiteren «li»-Verniedlichungen lassen den Ton dann auch drolliger erscheinen als er ist.
Typisch Camenisch
Denn wieder einmal zeigt Camenisch sich auch hier als Chronist vergehender Welten: Wenn die Velos plötzlich auf Elektroantrieb setzen, die Gäste des Tals mit dem Helikopter eingeflogen kommen oder alles in Plastik verpackt ist, weiss man: Camenisch erzählt von der Vergänglichkeit.
Versöhnlich, versteht sich, denn dieser Autor hat eine ausgesprochen liebevolle Beziehung zu seinem Personal. Wer eine schneidende Gesellschaftskritik erwartet, wird enttäuscht.
Stattdessen schlägt Camenisch nostalgische Töne an. Sein Rezept geht auf. Ganz nach dem Motto «Denn wo Camenisch draufsteht, ist auch Camenisch drin» wird man bei der Lektüre nie überrascht. Camenisch-Fans hingegen kommen voll auf ihre Kosten.