«In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.»
Zehn Worte braucht Benedict Wells, um auf den Punkt zu bringen, worum es in seinem neuen Roman geht: um grundlegende, existenzielle Grenzerfahrungen.
Der deutsch-schweizerische Autor gilt schon länger als junger Stern am Literaturhimmel. Mit seinem Bestseller «Vom Ende der Einsamkeit» von 2016 stand er über eineinhalb Jahre auf der Bestsellerliste.
Der perfekte Stoff
In «Hard Land» geht es um die Adoleszenz: «In der Pubertät», sagt Wells, «wirst du von Hormonen zugeschossen und musst dazwischen Algebra-Aufgaben lösen. Zudem darfst du auf keinen Fall auffallen. Ein einziges Elend.» Der perfekte Stoff für einen Roman.
Benedict Wells mag Brüche. Momente, in denen sich Biografien verändern. Die Pubertät habe ihn mehr und mehr interessiert, erklärt er.
«Jetzt, mit Mitte 30, bin ich noch nah genug daran, um mich an Details meiner eigenen Pubertät zu erinnern. Aber ich habe auch genügend Distanz, um mich nicht darin zu verlieren.»
Stilles Leiden, subtile Sprache
Im Zentrum von «Hard Land» steht Sam, ein 15-jähriger Schüler. Er lebt in einem Kaff im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri und erzählt von seinem – wie er es ausdrückt – «schönsten und schrecklichsten» Sommer seines Lebens.
Das Schreckliche: Sam leidet unter dem Vater. Dieser ist ohne Arbeit, sitzt vom Morgen bis zum Abend herum und bläst Trübsal.
Zwischen Vater und Sohn herrscht eisige Kälte. Eine gemeinsame Sprache gibt es nicht.
Die Mutter ist unheilbar krebskrank. Der Tod ist nur noch eine Frage der Zeit – für Sam eine kaum erträgliche emotionale Last. Wells macht durch seine unaufgeregte und subtile Sprache das stille Leiden begreiflich – und schafft Betroffenheit.
Die erste Liebe
Dann gibt es aber auch das Schöne: Durch einen Ferienjob im örtlichen Kino findet Sam zum ersten Mal Freunde. Richtige Freunde, mit denen er durch dick und dünn gehen kann.
Er verliebt sich auch über beide Ohren in Kirstie. Die Beziehung gestaltet sich allerdings kompliziert. Kirstie findet, Sam sei zu jung, zu unsicher, zu wenig Mann. Doch Sam durchlebt – nicht zuletzt durch sie – einen Reifeprozess.
Kein Kitsch, nirgends
Der scheue Junge verwandelt sich in einen lebenshungrigen Weltentdecker. So sehr, dass er schwärmt, er fühle sich in diesem Sommer, «wie ich mich schon mein ganzes Leben fühlen wollte: übermütig und wach und mittendrin und unsterblich».
Der Roman fasst die verknoteten und ambivalenten Emotionen der Teenagerzeit, dieses «harten Landes», in eine flüssige Sprache. An kaum einer Stelle überschreitet sie die Grenzen zum Platten, Klischierten oder gar Sentimentalen.
So kann nur ein Autor schreiben, der selbst über ein äusserst feines emotionales Sensorium verfügt. Wer Benedict Wells etwa schon bei Lesungen erlebt hat, weiss um sein offenherziges und zugewandtes Wesen. Geradezu legendär sind die langen Gespräche am Signiertisch, die er mit wildfremden Leserinnen und Lesern zu führen pflegt.
Faszination Amerika
Bemerkenswert an Wells Coming-of-Age-Roman ist, dass er ihn in den 1980er-Jahren in den USA spielen lässt. Nicht etwa ein Jahrzehnt später im ländlichen Bayern, wo der Autor selbst aufwuchs.
Er habe diese Wahl aus Sehnsucht getroffen, sagt der Autor. Das zeitliche und örtliche Setting seiner eigenen Jugend langweile ihn «tödlich».
So habe er sich entschieden, den Stoff in einem fiktiven, öden Städtchen im Mittleren Westen der USA spielen zu lassen: «Da gehen bei mir die Lichter an», erklärt Wells.
«Der Ort der Handlung ist ein spröder Ort, der vermutlich politisch sehr bedenklich wählen würde. Aber gerade hier einen speziellen Zauber zu finden, war jene Herausforderung, der ich mich unbedingt stellen wollte.»
Herrliche Hommage
Die USA, sie faszinieren Benedict Wells. In seiner Teenagerzeit in den 1990ern sei er von der amerikanischen Popkultur ein Jahrzehnt früher fasziniert gewesen, sagt er – von Filmen wie «Zurück in die Zukunft» und von Popstars wie Billy Idol, Bono oder Bruce Springsteen.
Tatsächlich finden sich in «Hard Land» viele cineastische und musikalische Anspielungen. Sie machen den Roman zu einer Hommage an die 1980er-Jahre.
Und sie verleihen dem Erzählfluss jenen amerikanisch-lockeren Sound, der dem Roman – bei aller thematischen Schwere – zu einer wohltuenden Leichtfüssigkeit verhilft.