Eigentlich ist es nicht so, dass Juli Zeh Unterstützung beim Schreiben benötigt. Sie veröffentlicht etwa alle zwei Jahre ein Buch, das meist zum Bestseller wird. Ihr Output ist enorm, ihr Erfolg auch. Trotzdem hat sie sich bei ihrem aktuellen Werk entschieden, es im Team anzugehen – mit dem Hamburger Autor Simon Urban.
Zeh und Urban wollten ein Buch schreiben, das mehr als nur eine Sichtweise zeigt. Ein Buch, das eine möglichst breite Meinungspalette abdeckt. Und das ist ihnen gelungen.
Zwei Autoren, zwei Stimmen
Ihr Roman «Zwischen Welten» handelt von Stefan und Theresa. Stefan ist 46 und Single. Er wohnt in einer so puristisch wie teuer eingerichteten Wohnung in Hamburg. Job: Kulturchef einer renommierten Wochenzeitung. Theresa ist 43, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie führt einen Bio-Bauernhof in der brandenburgischen Provinz.
Während des Studiums haben Stefan und Theresa zusammen in einer WG gewohnt. Als Theresa ihr Studium abbrach, um den Hof ihres Vaters zu übernehmen, haben sich die beiden aus den Augen verloren. Nun – und damit beginnt der Roman – laufen sie einander zufällig wieder über den Weg.
Moderner Briefroman
Das Wiedersehen endet jedoch im Streit. Zu sämtlichen Themen haben sie unterschiedliche Standpunkte. Trotzdem beschliessen sie, in Kontakt zu bleiben. Sie setzen ihre Diskussionen schriftlich fort – per E-Mail und WhatsApp.
«Zwischen Welten» ist ein moderner Briefroman. Stefan und Theresa beschreiben ihre jeweiligen Lebenswelten. Und diese Welten sind sehr verschieden: Während Theresa frühmorgens aufsteht, um 200 Kühe zu melken, sitzt Kulturjournalist Stefan im ICE, um zu einer Kunstvernissage zu fahren oder zu einem Workshop über die Vorherrschaft der Weissen.
Starke Zuspitzung
Überspitzter hätten Zeh und Urban die Fronten kaum darstellen können: hier der abgehobene, Caffè Latte mit Hafermilch trinkende, intellektuelle Städter. Dort die Bäuerin, die sich Tag für Tag Hände und Gummistiefel dreckig macht, nie in die Ferien fahren kann und trotz dieser Schufterei keine Chance hat, mit ihrem Hof finanziell je auf einen grünen Zweig zu kommen.
Bei ihrem Nachrichtenaustausch streifen die beiden Hauptfiguren sämtliche aktuellen Themen: Von Klima- und Landwirtschaftspolitik über die (Un-)Abhängigkeit der Presse, Rassismus, Coronamassnahmen und den Ukraine-Krieg bis hin zum Gendern in der Sprache kommt alles vor.
Stefan entpuppt sich bald als theoretisierender Quacksalber, auf den menschlich kein Verlass ist. Mit der Zeit wird es immer unglaubwürdiger, dass ein resoluter Charakter wie Theresa weiterhin Wert auf Austausch mit ihm legt. Das ist eine Schwäche des Romans.
Hochaktueller Debattenroman
Zudem liest man oft die erzählerischen Verrenkungen heraus, die Zeh und Urban machen mussten. Das gewählte Genre «Briefroman» gerät immer dann an seine Grenzen, wenn Stefan und Theresa einander Situationen nacherzählen, bei denen sie beide dabei waren.
Man kann diese Holprigkeiten aber ausblenden. Das Kondensat, das dann übrigbleibt, ist ein hochaktueller Roman darüber, wie polarisiert unsere Gesellschaft ist und wie politische Streitthemen Beziehungen zerfressen können.