Julia ist Autorin und arbeitet an ihrem zweiten Roman, als sie herausfindet, dass sie mit dem zweiten Kind schwanger ist. Was andere gern als «freudige Botschaft» bezeichnen, stürzt Julia in eine existenzielle Krise.
Bis dahin hatten Julia und ihr Partner H., ebenfalls Autor, ihren künstlerischen Beruf möglichst getrennt gehalten von ihren Eigenleben und ihrem Leben als Familie. Mit der zweiten Schwangerschaft zeichnet sich aber ab, dass das nicht mehr funktionieren wird.
Plötzlich diese tiefe Traurigkeit
Plötzlich sieht sich Julia mit gravierenden Fragen konfrontiert: Kann sie eine erfolgreiche Künstlerin, eine gute Mutter, Partnerin und Feministin zugleich sein? Ist sie in all diesen Bereichen «gut genug»? Und wie kann sie als Autorin eine Sprache finden, um über all das zu reden und zu schreiben?
Über diesen Fragen verfällt sie während der Schwangerschaft in eine tiefe Traurigkeit, aus der auch H. und ihr Freundeskreis sie kaum herausholen können. Sie macht sich Sorgen, dass sie an allen Fronten nicht mehr so gut sein wird, wie sie das gern wäre.
Nach und nach merkt Julia, dass sich diese unterschiedlichen Lebensbereiche und Ansprüche vielleicht schon vereinbaren lassen. Aber nicht, indem sie sie trennt, sondern indem sie alles durcheinanderlaufen lässt.
Gespräche mit den Figuren
In Julia Webers Roman liest man nicht nur die Geschichte der Ich-Erzählerin Julia, sondern alle paar Seiten auch Ausschnitte aus Texten, die Julia gerade schreibt. Die Figuren in diesen Texten beginnen, Julia und ihrem Umfeld immer stärker zu ähneln.
Julia lässt sie Ähnliches erleben wie das, was sie auch gerade durchmacht. Zum Beispiel eine sehr schmerzhafte Geburt mitsamt Komplikationen, die eine ihrer erfundenen Figuren erlebt, ganz kurz nur, nachdem Julias zweites Kind zur Welt gekommen ist.
Ihre Kunst wird zu einem Weg für Julia, ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Stellenweise führt sie sogar Gespräche mit ihren erfundenen Figuren, weil sie – anders als H. und Julias Freunde – unmittelbar verstehen können, was Julia erlebt.
Die Grenzen verschwimmen
Dieses Durcheinander ist die titelgebende «Vermengung» in Julia Webers Roman. Die Autorin inszeniert diese Grenzüberschreitung zwischen der Lebensrealität ihrer Figur und der Fiktion, die «Julia» im Roman schreibt, sehr kunstfertig. Das Gewühl wird immer dichter, je weiter der Roman fortschreitet.
Hinzu kommt, dass das Buch an sich schon die Grenze zwischen Realität und Fiktion zum Verschwimmen bringt: Julia Weber, die Autorin, die heute mit zwei Kindern und ihrem Mann in Zürich lebt, schreibt über «Julia, die Autorin, die mit ihrem zweiten Kind schwanger ist».
Damit reiht Julia Weber sich in die Tradition der sogenannten Autofiktion ein. Sie nutzt ihre eigene Biografie als Ausgangspunkt für die fiktionale Geschichte, die sie erzählt.
Die Verwirrung hat Programm
Dieses Verfahren hat in den letzten Jahren einen ziemlichen Konjunkturschub erfahren, zuletzt etwa mit den Autorinnen Julia Schoch («Das Vorkommnis») oder Rebecca Gisler («Vom Onkel»). Im Fall von Julia Webers Roman entpuppt es sich als äusserst produktiv.
«Die Vermengung» ist im besten Sinne verwirrend. Das Durcheinander ist Programm dieses Buchs. Durch diese Verwirrung bekommt man beim Lesen unmittelbar mit, wie sehr das Leben dieser Autorin durch ihre zweite Schwangerschaft durcheinandergerät, wie überfordernd das sein kann.
Julia Weber erzählt einfühlsam, in simplen Sätzen, aber dennoch mit wuchtigen, und manchmal verblüffenden Bildern. «Die Vermengung» ist ein persönliches und berührendes Buch voller Poesie und Feinsinn, in das man sich gern verstricken lässt.