Seit Jahren steckt der deutschsprachige Buchmarkt in der Krise, die Corona-Pandemie macht die Situation nicht besser. Die junge Zürcherin Jil Erdmann hat es mit ihrem Verlag «sechsundzwanzig» trotzdem getan – allen Widerständen zum Trotz und mit Erfolg.
Im Frühsommer 2020 entdeckt Erdmann im Antiquariat Klio in Zürich das Buch «Frauen erfahren Frauen» aus dem Jahr 1982. Darin sind 33 Texte von verschiedenen deutschsprachigen Autorinnen gesammelt; Texte darüber, was es heisst, eine Frau zu sein. Texte, die mit der Frauenbewegung teils auch hart ins Gericht gehen.
Jil Erdmann ist sofort fasziniert von dem Buch und beginnt zu recherchieren: Herausgeberin war Ruth Mayer, ihr Verlag hiess «edition R + F». Doch seit Mayers Tod 2007 gibt es den Verlag nicht mehr, das Buch «Frauen erfahren Frauen» ist längst vergriffen.
«Sechsundzwanzig» setzt Traditionen fort
«Ganz ehrlich: Ich wüsste sehr viele Menschen, insbesondere Frauen, die das lesen wollen», sagt Erdmann. Und so fasst die gelernte Buchhändlerin im Alter von 26 Jahren einen gewagten Entschluss: Sie macht sich selbständig und gründet den Verlag «sechsundzwanzig».
Damit will sie die Tradition von Ruth Mayers «edition R + F» fortsetzen: Publiziert werden sollen ausschliesslich Texte von Frauen. Das erste Buch soll eine Neuauflage der Texte von «Frauen erfahren Frauen» sein – ergänzt um Beiträge von zeitgenössischen Autorinnen.
Hoffnung wartet im Ausland
Doch reicht dieses scheinbare Bedürfnis bei der Öffentlichkeit aus, um einen Verlag zu lancieren? «Rentieren wird sich das nur, wenn gleich das erste Buch ein Bestseller wird», sagt Tanja Messerli, die Geschäftsführerin des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands SBVV.
Und davon sei nicht auszugehen: Fast 90 Prozent der Bücher, die in der Schweiz verkauft werden, stammen aus dem Ausland. Das heisst im Umkehrschluss: Jil Erdmann müsste den grössten Teil ihrer Bücher im Ausland verkaufen – die geplante Auflage von 1500 Exemplaren würde dafür nicht ausreichen.
Einzige schwache Hoffnung, laut Tanja Messerli: «Wenn Jil Erdmann keinen Anspruch auf viel freie Zeit hat und ihre eigene Arbeitszeit nicht verrechnet, schätze ich, dass sie vielleicht ihre Kosten decken kann.»
500 Menschen spendeten 85'000 Franken
Schweizer Kulturstiftungen wollten sich an dem Projekt nicht beteiligen, also musste ein Crowdfunding als Geldquelle her. Das Resultat davon beeindruckt: Über 500 Menschen haben innert kürzester Zeit stattliche 85'000 Franken gespendet.
Das hat Jil Erdmann in ihrem Vorhaben bestärkt: «Die Reichweite, die das im Internet erreicht hat, hat mich echt erstaunt – und ich habe das enorm geschätzt, auch die ganzen positiven Rückmeldungen, die sofort gekommen sind.»
Die Zeichen stehen auf Erfolg
Neben der finanziellen Unterstützung habe sich auch die feministische Nische gelohnt, in der sich der Verlag «sechsundzwanzig» positioniert. Dort sei von Konkurrenzdruck, trotz der prekären wirtschaftlichen Situation auf dem Markt, wenig zu spüren, sagt Jil Erdmann: «Ich habe viel Unterstützung erfahren von anderen feministischen Verlegerinnen. Sie freuen sich, dass die Manuskripte nun breiter verteilt werden können.»
Ob Erdmanns Buchmarkt-Poker aufgeht und sich ihre Idee einer Reihe, in der dann jedes Jahr ein neues Buch erscheinen soll, verwirklichen lässt, wird sich zeigen – momentan stehen die Zeichen jedenfalls auf Erfolg: Das erste Buch «Frauen erfahren Frauen» erscheint am 13. September, bei einer ausverkauften Vernissage im Zürcher «Sphères».
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