Um die Figur Gallus ranken sich viele Legenden. Der Wandermönch Gallus soll im 7. Jahrhundert den weiten Weg von Irland in die Schweiz gewandert sein. Vielleicht kam er auch nur aus den Vogesen? Die Historiker streiten sich.
Fakt ist: Im Jahr 612 liess er sich südlich des Bodensees nieder. Ein Gebiet das damals weitherum nur Urwald war. In dieser Wildnis baute er seine Klause.
100 Jahre später wurde an dem Ort das Kloster St. Gallen gegründet, das heute die weltberühmte Stiftsbibliothek beherbergt.
Ein legendärer Heiliger
Diesem legendären Heiligen widmet die Schweizer Schriftstellerin Gabrielle Alioth ein Buch. In «Gallus, der Fremde» nähert sie sich der Figur auf drei Erzählebenen.
Auf einer ersten Ebenen zeichnet der Roman in einer unaufgeregten und flüssigen Sprache die lange Wanderung nach, die Gallus zusammen mit anderen irischen Glaubensboten unter der Führung des Kolumbanus vom nordirischen Bangor nach Frankreich führte: ins Gebiet der Loire, dann nach Besançon, Metz und schliesslich nach Bregenz.
«Unter dem Himmel lag ein See, grösser als alle Seen, die sie je gesehen hatten, und von der Stille eines Teiches.» Hier, am Bodensee, trennen sich die Wege. Gallus bleibt. Die anderen Mönche ziehen mit Kolumbanus weiter in Richtung Italien.
Es ist die grösste Frage im Leben des Heiligen: Warum entschied er sich nach Jahren der gemeinsamen Wanderschaft mit seinem Meister Kolumbanus, in der Wildnis sesshaft zu werden? War er krank?
Eine Frau für den Heiligen
Um dies zu ergründen, schickt die Autorin auf einer zweiten Ebene erzählerisch eine fiktive Frauenfigur zu Gallus. In seiner Klause an der Steinach löchert die Frau den Heiligen mit ihren Fragen.
Seine Reaktion? Spröde Antworten. Gallus zeigt sich verstockt, rückt nur in Bruchstücken heraus.
Dennoch setzt sich das Bild des Heiligen Stück für Stück zusammen. Er stellt sich als eigensinniger Einzelgänger heraus, der hartnäckig und bisweilen stur seinen Weg ging.
Und doch bleiben die Konturen von Gallus’ Charakterzügen unscharf. Zum Glück. Der Roman verkommt dadurch weder zu einem Bluff noch zu Kitsch.
Endgültige Antworten finden sich nicht in diesem Roman, dafür Mutmassungen darüber, wie es gewesen sein könnte. Hatte Gallus einfach genug vom Übervater Kolumbanus, als er sich entschloss, seinen eigenen Weg zu gehen? Möglich wär's.
Die Autorin mischt mit
Etwas weniger geglückt ist die dritte Ebene des Romans: Die Autorin bringt sich selbst ins Spiel. Gabrielle Alioth ist in Basel geboren, wanderte jedoch vor vielen Jahren nach Irland aus.
Er sei «den gleichen Weg wie ich gegangen, nur umgekehrt.» Von daher rühre ihre Faszination für den frühmittelalterlichen Mönch, erklärt Alioth.
Abgesehen von der gleichen Wegstrecke wird nicht klar, was Gabrielle Alioth mit Gallus tatsächlich verbindet. Die Autorin zeichnet sich selbst zu blass.
So wirkt dieser Versuch, die Brücke zur Gegenwart zu schlagen etwas kraftlos und nicht nötig – in diesem ansonsten zauberhaften Stück Literatur.