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«Dieses Buch wird Ausdruck für meine Trauer sein»
Aus Künste im Gespräch vom 29.06.2023. Bild: Getty Images / David Zorrakino / Europa Press
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Neues Buch von Amélie Nothomb «Mein Vater war für mich eine mysteriöse Figur»

Amélie Nothomb verarbeitet in ihrem neuen Buch den Tod ihres Vaters Patrick Nothomb. Der eloquente Diplomat arbeitete in Kongo, später in Japan, China, Burma und Laos. Für die Autorin blieb er ein schüchterner Mensch.

Amélie Nothomb

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Amélie Nothomb, geboren 1967 in Kobe, Japan, hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten hauptsächlich in Asien verbracht. Ihre Romane sind Bestseller und erscheinen in über 40 Sprachen.

Für «Mit Staunen und Zittern» erhielt sie den Grand Prix de l'Académie française, für «Der belgische Konsul» den Prix Renaudot 2021 und den Premio Strega Europeo. Amélie Nothomb lebt in Paris und Brüssel.

Bild: Lorena Getty / Sopena / Europa Press

SRF: In «Der belgische Konsul» erzählen Sie die ersten 28 Jahre im Leben Ihres Vaters Patrick Nothomb. Was war der Auslöser?

Amélie Nothomb: Mein Vater starb am ersten Tag des ersten Lockdowns: Ich war in Paris, während er in der Nähe seines Schlosses in Belgien beerdigt wurde. Ich konnte nicht an seiner Beerdigung teilnehmen. Zum Schmerz, den Vater zu verlieren, kam der Schmerz, sich nicht verabschieden zu können.

Ich durchlief eine Phase tiefer Trauer, die acht Monate später immer noch da war. Dann sagte ich mir: «Amélie, du musst etwas unternehmen, sonst wirst du aus dieser Trauer nicht mehr herausfinden.»

Ihr Buch fängt mit einer eindrücklichen Szene an, die am Ende aufgelöst wird: Ihr Vater, Konsul im Kongo, wird bei Unruhen zusammen mit 1600 weiteren Europäern von Rebellen als Geisel genommen. Er wird vor ein Erschiessungskommando gebracht und überlebt nur knapp. Warum ist diese Szene Dreh- und Angelpunkt des Romanes?

Schreiben ist für mich der einzige Weg, um zu verstehen, was ich nicht verstehe. Ich kannte die Anfangs- und Schlussszene meines Buchs. Ich wusste, dass der Rebellenführer – nachdem mein Vater knapp dem Tod entkommen war – ihn verspottete und sagte: «Wollen Sie ein drittes Kind?» Mein Vater antwortete ihm in einer spontanen Eingebung: «Das hängt von Ihnen ab, Herr Präsident.»

Bis dahin war mir nicht bewusst, dass ich diesem Geistesblitz mein Leben zu verdanken hatte. Ich wurde aus der Nähe zum Tod und aus der Lebenswut eines Überlebenden geboren.

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Zwei Jahre später sind Sie geboren. Danach reiste Ihr Vater als Diplomat um die Welt. Hat Sie das Unterwegssein geprägt?

Die Tatsache, dass man alle drei oder vier Jahre alles verlieren muss, um an einem anderen Ort neu anzufangen: Das ist ein sehr frühes Erlernen des Todes. Das erste Mal, als ich starb, war ich fünf Jahre alt. Das zweite Mal war ich acht Jahre alt.

Das Einzige, was ich nicht verliere, wenn ich alles verliere, ist die Sprache. Die Sprache ist der einzige sichere Wert.

Jedes Mal, wenn ich ein Land verlassen habe, habe ich alles verloren. Ich habe so viel gelernt. Das hat auch viel dazu beigetragen, Schriftstellerin zu werden. Ich habe schnell gemerkt: Das Einzige, was ich nicht verliere, wenn ich alles verliere, ist die Sprache. Die Sprache ist der einzige sichere Wert.

Wie haben Sie Ihren Vater als Kind wahrgenommen?

Er war für mich eine mysteriöse Figur. Er empfing als Diplomat 1000 Gäste im Monat. Wenn die Gäste uns besuchten, also fast jeden Tag, war mein Vater sehr gesprächig, redete enorm eloquent und mit grosser Leichtigkeit. Sobald die Gäste weg waren, wurde mein Vater schüchtern, schweigsam und zurückhaltend.

Haben Sie eine Erklärung, warum er so war?

Er hatte keinen Vater gehabt. Dieser starb, als mein Vater acht Monate alt war. Er wusste nicht, wie es ist, Vater zu sein. Das machte ihn in der Rolle des Vaters sehr schüchtern.

Eine Frau Ende 50, mit dunklem glatten Haar signiert ein Buch für eine andere Frau, die zu ihr spricht.
Legende: Amélie Nothomb 2021 beim Signieren ihres Romans «Premier Sang», der nun auf Deutsch unter dem Titel «Der belgische Konsul» erschienen ist. Imago / ABACAPRESS

Ausserdem hatte er als Waisenkind eine schrecklich einsame Kindheit und Jugend. Das machte ihm schwer zu schaffen, färbte auf ihn ab und machte ihn zu einem verschlossenen Menschen.

Wie hat sich das auf Ihre Beziehung ausgewirkt?

Wir haben uns Dinge nie direkt gesagt. Ich erfuhr von anderen, dass mein Vater mich liebte. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe – neun Tage vor seinem Tod – habe ich ihm intuitiv gesagt: «Auf Wiedersehen Papa, ich liebe dich.» Er hat mir geantwortet: «Auf Wiedersehen Amélie, ich liebe dich.» Das war das erste Mal, dass er mir das gesagt hat. Dann habe ich ihn nie wieder gesehen.

Das Gespräch führte Annette König.

Buchhinweis

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Amélie Nothomb: «Der belgische Konsul». Diogenes, 2023.

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Radio SRF 2 Kultur, Künste im Gespräch, 29.06.2023, 09:03 Uhr ; 

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