«Die Geschichte eines neuen Namens» heisst der zweite Band von Elena Ferrantes «L’amica geniale». Schon der Titel bringt den Inhalt des Buchs treffend auf den Punkt.
Beiträge zum Artikel
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Zwei Frauen suchen die Flucht nach vorne
Lila und Lenu, sind keine kleinen Mädchen mehr. Sie sind junge Frauen, die alles tun, um dem Rione, dem Armutsviertel, in dem sie aufgewachsen sind, zu entfliehen. Denn Gewalt dominiert ihren Alltag. Gewalt auf der Strasse, Gewalt zu Hause: physisch, verbal, vulgär.
Doch diesem Sumpf zu entkommen, das ist nicht einfach. Lila ist erst sechzehn Jahre alt und entschliesst sich einen jungen Lebensmittelhändler zu heiraten, der in das Schuhgeschäft ihrer Familie investieren will.
Wenn die Herkunft an einem kleben bleibt
Lenu, die Ich-Erzählerin der Geschichte, geht einen anderen Weg. Sie ist eine ausgezeichnete Schülerin, die weiter auf die Schulkarriere setzt. Sie macht ihr Abitur und kann dank eines Stipendiums in Pisa studieren. Das klingt für beide Frauen verheissungsvoll, wäre da nicht das echte Leben.
Lenu ist verlobt mit einem ihrer Kommilitonen, einem jungen Mann aus gutem Haus. Sie hat ihr Studium abgeschlossen, den Doktor gemacht und mit 23 Jahren ihren ersten Roman publiziert. Und doch nagen an ihr Minderwertigkeitsgefühle. Sie spürt, dass ihre Herkunft wie Kaugummi an ihr haften bleibt.
Von der ersten Hölle in die nächste
Und Lila hat in den sieben Jahren seit ihrer Hochzeit die Hölle durchlebt. Am Hochzeitstag entpuppt sich ihr Mann als jemand, den Lila nicht kennt, der mit der lokalen Camorra Händel treibt.
Lila hat sehr schöne Schuhe entworfen und will diese zusammen mit ihrer Familie in der Innenstadt von Neapel an gutbetuchte Kundschaft verkaufen. Eines dieser Schuh-Prototypen hat Stefano Lila vor der Hochzeit abgekauft als Zeichen seiner Liebe und als Zeichen dafür, dass er in das Schuhgeschäft ihrer Familie investieren will.
Verrat bereits am Hochzeitstag
Doch am Tag der Hochzeit trägt nicht Stefano Lilas Schuhe, sondern ein Mafiosi platzt auf die Hochzeit, der diese demonstrativ trägt. Lila erkennt den Verrat sofort. Der Mafiosi ist ihr Jugendfeind, dem sie einmal das Messer an den Hals setzen musste, weil er sie auf offener Strasse bedrängt hat.
Sie ist entsetzt, dass ihr Mann ihre Schuhe und ihre Geschäftsidee an die Mafia verkauft hat. Sie will ihre Ehe sofort rückgängig machen und attackiert Stefano verbal, der sie wiederum schlägt und vergewaltigt. Eine Spirale der Gewalt beginnt Lila zu zerstören.
Es kann immer schlimmer kommen
Elena Ferrante entwickelt in ihrem zweiten Band eine Kraft, die nur selten in Büchern anzutreffen ist. Und das hat mit ihrem Blick fürs Leben, mit ihrer Autenthizität zu tun.
Es fasziniert mitanzusehen, was Lila und Lenu aus ihrem Leben machen, wie ihre Freundschaft auf Distanz weiter wirkt, sie prägt und formt, auch wenn die beiden sich nicht mehr viel zu sagen haben.
Grossartig ist auch, wie die Autorin mit Spannung spielt, die Leser im Ungewissen lässt. Denn immer dann, wenn man meint, das war es jetzt, kommt ein Coup, der einem das Blut gefrieren lässt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 05.01.2017, 17:06 Uhr